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In welchem Umfange das im besonderen für
das Trypanosoma gambiense zutrifft, ist frei-
lich schwer zu entscheiden, und hierbei muß man
mit seinen Schlüssen sehr vorsichtig sein.
Fassen wir kurz zusammen, was bis in die
letzte Zeit durch wissenschaftliche Beobachtungen
und Experimente in dieser Frage festgestellt war:
Was zunächst das Trypanosoma gambiense
betrifft, so ist es, wenn auch nicht immer, so doch
in einer Anzahl von Fällen möglich,
1. diesen Erreger sowohl durch direkte Blut-
überimpfung wie auch durch den Stich infektiöser
Glossinen auf Wild und Haustiere zu übertragen.
2. Diese so experimentell übertragenen Try-
panosomen können sich unter Umständen ziemlich
lange im Körper von Antilopen und Haustieren
halten. Das Wild bleibt anscheinend durch die
Infektion gänzlich ungeschädigt; dasselbe gilt in
der Regel von Haustieren.
3. Von Antilopen und Ziegen, die mit dem
Trypanosoma gambiense infiziert worden waren,
kann in einer Anzahl von Fällen der Parasit
durch Vermittlung von Glossinen wieder weiter
übertragen werden; in einem von Duke beschrie-
benen Experiment war das noch 22 Monate nach
der Infektion möglich, in anderen Fällen, nament-
lich in den von Kleine und Fischer berichteten,
war diese Frist bedeutend kürzer. Überhaupt
nimmt die Infektiosität mit der Länge der Zeit,
die seit dem Auftreten der Trypanosomen im Blut
verstrichen ist, ab.
Ganz ähnlich liegen die Verhältnisse jedenfalls
beim Trypanosoma rhodesiense, nur daß
sofort die bedeutend größere Virulenz dieses Er-
regers gegenüber allen Tierarten auffällt. Das
Wild scheint zwar im allgemeinen bei einer
experimentellen Infektion mit dem Trypanosoma
Trhdesiense gleichfalls keine Krankheitserschei-
nungen zu zeigen, alle Haustiere jedoch, wie
Rinder, Ziegen, Schafe, Esel, Hunde, erkranken
nach einer Infektion mit diesem Erreger prompt
und gehen in der Regel rasch ein; sie sind also
zum mindesten keine langfristigen Parasiten-
träger.
Wissenschaftlich betrachtet, ist also in der Tat
die Möglichkeit, daß das Wild und in beschränktem
Sinne auch die Haustiere ein Reservoir für die
Erreger der Schlafkrankheit bilden können, gar
nicht abzuleugnen.
Aber schon bei diesen experimentellen Beob-
achtungen zeigen sich graduelle Unterschiede. Die
deutschen Untersucher stellten zwar die Möglich-
keit fest, Säugetiere für einige Zeit zu Trägern
von menschenpathogenen Trypanosomen zu machen,
fanden aber gleichzeitig, daß dieses Vorkommnis,
namentlich auch hinsichtlich der Dauer der In-
fektiosität, ein ziemlich beschränktes sei. Im
Gegensatz dazu glaubten einige englische Forscher,
insbesondere D. Bruce, das Vorkommnis nicht
nur als Möglichkeit, sondern beinahe als Regel
bezeichnen zu können; sie nahmen im Anschluß
an ihre Untersuchungen an, daß das Wild für
den Erreger der Schlafkrankheit ein in jeder Hin-
sicht vorzügliches Reservoir darstelle, von dem
aus die Trypanosomen auch nach langer Zeit
noch mit großer Leichtigkeit durch Glossinen wieder
weiter übertragen werden können.
So stand die Angelegenheit, als infolge des
Auftretens von menschlicher Trypanosomiasis in
Rhodesia und Nyassaland erneute Untersuchungen
auf diesem Gebiete unternommen wurden. King-
horn und Vorke, aber auch Bruce glaubten
dort einen klaren und einwandfreien Beweis
dafür gefunden zu haben, daß das Wild nicht
nur in Experimenten, sondern auch in der Natur
eine ganz außerordentliche Rolle als Träger der
Trypanosomiasis des Menschen spiele. Hatte man
früher gegen Befunde von angeblichem Trypano-
soma gambiense in natürlich infiziertem Wild
und Haustieren einwenden können, daß es sich
in Wirklichkeit gar nicht um diesen Erreger, sondern
um ein nur morphologisch gleich aussehendes,
aber nicht menschenpathogenes Trypanosoma
handle, so lag die Sache bei dem Erreger der
Schlafkrankheit in Rhodesia und Nyassaland, dem
Trypanosoma rhodesiense, anscheinend viel ein-
facher. Diesem Parasiten waren ja bekauntlich
morphologische Eigentümlichkeiten zugeschrieben
worden, durch die er sich von allen anderen
Trypanosomen ohne weiteres unterscheiden lassen
sollte; in der Tat galten noch bis vor kurzem
die Verlagerungen des Kerns nach dem Hinter-
ende des Parasiten, die sogenannten Kernhinter-
endformen, die merkwürdigerweise früher nie be-
achtet worden waren, als absolut charakteristisch
für das Trypanosoma rhodesiense.
Kinghorn und Vorke stellten nun in ihrem
Arbeitsgebiet fest, daß unter dem dortigen Wild
die sehr beträchtliche Zahl von 16 v. H. infiziert
waren mit Trypanosomen, die bei der Verimpfung
auf Versuchstiere typische Kernhinterendformen
zeigten und sich auch in ihrer Virulenz gegenüber
Tieren vollkommen wie das Trypanosoma
rhodesiense verhielten. Damit war nach ihrer
Ansicht bewiesen, daß in der dortigen Gegend
16 v. H. des Wildes Träger der menschlichen
Schlafkrankheit seien. Diese Feststellung ver-
breitete sich rasch und gewann dadurch auch nach
außen hin an Bedeutung, daß sie mit den schon
früher von D. Bruce vertretenen Ansichten über-
einstimmte. Und so ist es zu verstehen, daß sich
um diese Zeit nicht nur aus wissenschaftlichen
Kreisen, sondern auch aus der von der Schlaf-
krankheit bedrohten europäischen Bevölkerung