Full text: Deutsches Kolonialblatt. XXVII. Jahrgang, 1916. (27)

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Hier war also, der Schleier über die Frage, 
ob die Behauptung des Angeklagten, daß Stokes 
noch eine weit größere Macht hinter sich hatte, als 
seine 26 Mann, mit denen er sich zu den Belgiern 
behufs einer Besprechung begeben wollte, und ob 
seine weitere Behauptung, er habe Stokes aus 
reiner Selbsterhaltung so schnell hinrichten lassen 
müssen, weil er sich durch jenen Heerhaufen des 
Stokes bedroht fühlte, richtig oder eben nur einer 
der von dem Angeklagten nachträglich ausge- 
klügelten Entschuldigungsgründe für seine Hand- 
lung war, etwas gelüftet. Das Gericht scheint 
aber diesem Punkt keine weitere Folge gegeben zu 
haben. Eine Aufklärung desselben wäre aber von 
der größten Bedeutung für die Frage der Schuld 
von Stokes gewesen, weil diese 100 Mann offen- 
bar zu den Leuten von Kilonga-Longa gehörten, 
mit denen Stofkes nichts zu tun hatte. 
Bei den Akten befinden sich auch Briefe von 
Leutnant Henry an Lothaire über die Gefangen- 
nahme von Stokes, die bei den Gerichtsverhand- 
lungen wohlweislich nicht verlesen worden sind. 
So schreibt Henry in dem Brief Nr. 4: 
„Cet homme est une espece de vieux juisf 
sucieux avant tout de se procurer DPivoire du 
pays par n’importe quel moyen.“ 
In dem Brief Nr. 5 schreibt er unter dem 
10. Januar 1895: 
„Comme vous le verrez sans doute, maftre 
Stokes doit ötre une espece de vieux juif plus 
bete due méchant. Je crois qu'i! n’a de 
demeure fixe nulle part. II est seul de son 
espöce pour faire le commerce d'ivoire et 
parcourt les pays par monts et par vaux, 
profitant de toutes les oceasions favorables 
pour faire chanter à son profit qduiconque 
possède qduclques défenses d’éléphant."“ 
Aus diesen Zeilen geht einerseits die völlige 
Unkenntnis hervor, in der sich der Briefschreiber 
über die Person und Bedentung des Mr. Stokes 
befand, andererseits aber auch der Neid und der 
Arger des kongolesischen Beamten, dem durch die 
Tätigkeit von Stokes die kongostaatliche Prämie 
von 10 ) des zusammengebrachten Elfenbeins 
geschmälert wurde. 
*) Was die vom Kongostaat seinen Agenten ge- 
währten Prämienzahlungen betrifft, so leugnete derselbe 
das Bestehen einer solchen Einrichtung bei Gelegenheit 
des mit der Reichsregierung in der Stokes-Affaire er- 
folgten Notenwechsels hartnäckig ab. In einer deutschen 
Note vom 19. November 1895 wurde gesagt: „II ne peut 
Dus eEtre douteux duc les nombreux uctes de violencc ct 
de spoliation dui se sont produits dans ccs derniers temps. 
sont ln conséduence de cc s#stme. Les rapports des 
autorités du territoire allemand confirment ceite ma- 
nidre de voir pour le cas de Stokes et font ressortir 
le grave préjudice due Texécution de Stokes a porté 
au commerce du protectorat de I’Empirc. 
  
In dem Originalbericht des Comm. Lothaire 
an den General-Gouverneur in Boma vom 
15. Januar 1896, in dem er diesem über die Hin- 
richtung von Stokes Meldung erstattet und der in 
dem bereits erwähnten Prozeßbericht abgedruckt 
ist, findet sich ein Passus, der aus politischen 
Gründen dort nicht mit veröffentlicht ist, weil er 
gegen Deutschland gerichtet ist. Er lautet: 
„II est urgent d'occuper sérieusement cette 
Partie de notre territoire. II serait bon de se 
méfier des agissements du gouvernement 
allemand. Un permis émanant d’un de ses 
agents a 66é envoysé ici accordant à Kibonghé 
ct Saild ben Abedi due la rumeur publique 
accusait pourtant à cette époque du meurtre 
d'Emin Pascha, un libre passage à ses gens 
et à son ivoire jusque Zanzibar. Ce permis à 
malheureusement 60é6 perdu lors de la capture 
de Kibonghé par nos gens.“ 
In dem erwähnten gedruckten Prozeßbericht 
sind leider die Anklagerede des Staatsanwalts 
und die Verteidigungsreden nicht mit enthalten. 
Nach einem bei den Akten befindlichen generellen 
Entwurf der Anklagerede des Staatsanwaltes 
wollte dieser zunächst sein Bedauern darüber aus- 
sprechen, daß seine Funktionen als Staatsanwalt ihn 
dazu beriefen, „à ötre I’accusateur de Lothaire. 
Rendre hommage à sa valeur, à son passé, à 
sa loyaufé de soldat. Mais il a commis de 
graves irrégularités, dui ont entrainé la mort 
d'un homme. Nous sommes iei pour lui en 
demander compte. Conclure en con- 
statant: 1. due L. a commis un meurtre, 
2. du’fil n'existe pas d'’excuse ou de justifica- 
tion et requérir du’'il plaise au tribunal de le 
condamner, conformément à l’articke 2 du 
code pénal à la servitude pénale à perpétuité.“ 
Ob der Staatsanwalt die so geplante An- 
klagerede in der Tat gehalten und anfänglich den 
Antrag auf lebenslängliche Zwangsarbeit wirklich 
gestellt hat, geht aus den Akten leider nicht her- 
vor. Nach dem gedruckten Verhandlungsbericht 
erhob er sich am Schluß der Verteidigungsrede 
Le (ionvernement Impérinl se eroit donc en droit 
de demander duc le Gouvernement de l'Etat Indép. 
sengage envers lui à supprimer pour T’avenir#le systeme 
de ln participation aux bénéfices. La liberté du com- 
merce consncrée par I’Acte Général de Berlin et par 
G’antres arrangements internationanx, se trouve for- 
cément atteinte. si un Gouvernement, comme dans 
Pespoce. PEtat Inddpendant, se lirre au commercc et 
porte préjudice par sa situntion prépondérante à l 
concurrence. Cet dtat de choses devient intolérahle 
et ruine complètement la liberté di commercc, si les 
agents du Gouvernement deviennent cux-memes com- 
merennts et participent sur unc grande Gchellc nus 
bénéfices du’ils font kagner à leur (onrernement. 
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