Full text: Deutsches Kolonialblatt. XXVIII. Jahrgang, 1917. (28)

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l Mchtamtlichcrceil H 
Aus den Archiven des belgischen Kolonialministeriums. 
Siebente Veroffentlichung.“) 
Die kongolesische Justiz und die häufige nichtanwendung des Auslieferungsvertrages 
zwischen dem Kongostaat und Belgien. 
Auf die in der Presse, in Broschüren und 
Büchern, in den Parlamenten Belgiens, Deutsch- 
lands und Englands so häufig gegen den Kongo- 
staat erhobenen Anschuldigungen wegen der Ver- 
gewaltigungen und grausamen Behandlung der 
Eingeborenen am Kongo durch die Beamten des 
Staates sowie durch die Agenten der großen 
Konzessionsgesellschaften pflegte von kongostaat- 
licher Seite regelmäßig erwidert zu werden, daß 
solche beklagenswerten Ausschreitungen in allen 
Kolonien vorkämen, daß es aber das eifrige Be- 
streben der Verwaltung, soweit es in ihrer Macht 
liege, sei, diese vereinzelten Mißbräuche und 
Grausamkeiten durch Dekrete und Gesetze abzu- 
stellen und durch sorgfältige Auswahl des Personals 
den bekanntgewordenen llbelständen abzuhelfen. 
Die Justiz tue am Kongo ihre Pflicht. Jeder 
Schuldige, er möge so hoch stehen, wie er wolle, 
werde unnachsichtlich verfolgt und bestraft. So 
richtete z. B. der Generalsekretär des Departemems 
der Auswärtigen Angelegenheiten des Kongo- 
staates, M. de Cuvelier, auf Anlaß von heftigen 
Angriffen, die in der belgischen Kammer am 
1. April 1900 in dieser Beziehung gegen die 
Kongoverwaltung vorgebracht worden waren,“) 
*) Vgl. zuletzt „D. Kol. Bl.“ 1917, Nr. 7, S. 117 f. 
*"“) Es handelte sich um damals in Belgien bekannt- 
gewordene sehr erhebliche Ausschreitungen, die Agenten 
der berüchtigten „Sociét unvem#oise pour le commerce 
au Contgo“ und der Abir-Gesellschaft sich gegen die Ein- 
geborenen hatten zuschulden kommen lassen. So hatte 
im Mongala-Gebiet ein Agent der erstgenannten Ge- 
sellschaft, ein gewisser J. Moray, den Häuptling 
Alibon, den einzigen, der damals in dieser Gegend 
noch zu den Weißen hielt, als er Lebensmittel zur 
Station Mandika brachte, ergreifen, prügeln und an 
einen Pfahl binden lassen. Dann ließ Morau den 
Mann los und als der Häuptling sich langsam und 
zögernd entfernte, schoß er ihn von hinten über den 
Haufen. Die Absicht, ihn zu töten, entging selbst dem 
Ermordeten nicht. Denn nach Zeugenaussagen ent- 
fernte sich derselbe nur zaghaft und nachdem er Moray 
wiederholt gefragt hatte: Du wirst doch nicht auf mich 
schießen? Moray wurde von dem Gericht in Boma 
am 12. September 1900 zu zehn Jahren Gefängnis 
verurteilt und auf eingelegte Berufung wurde dieses 
Urteil am 10. Dezember bestätigt. Der Gericht- #Shof 
erkannte dabei noch auf mildernde Umstände im Hin- 
blick auf den nervösen Zustand des Angeklagten und 
weil es außerdem gerecht sei, „de tenir compie des 
  
folgende pomphafte Protestnote an den belgischen 
Minister des Außern, M. de Faveran: 
Brugelles, le 23 Avril 1900. 
Monsieur le Ministre, 
J'’ai Phonneur de vous adresser, au nom de 
IEtat du Congo, une vive protestation contre 
les accusations dirigées contre lui en la séance 
de la Chambre des Représentants du 19 avril. 
T’affirmation qui y a 646 produite, qdue 
„T’oeuvre alricaine est devenuc une ocuvre de 
massacre, de pillage, de vol et ch’incendic“, 
suffit à montrer le système de parti pris et 
(TWexagération dui toujours Caractérise les 
attaques dont I’Etat est lobjet. II suffit que 
tels ou tels laits soient allégués, Sans étre 
’ailleurs autrement prouvés, pour duc Fon 
essaie de jeter le diserédit sur I'Administration 
toute entiöre et die méconnaitre ou de nier les 
résultats et les progres ncquis. II semble 
cependant du’une eritique impartiale devrait 
abprecier Pocuvre duns son ehsemble, et pour 
exemples qduc lui donnaient ses chefs, en ne montrant 
aucun respcct pour la vie ct les droits des indigenes. 
de cc fait encorc duc bien plus du’n faire lc commerce, 
il avait été préposé à faire la gnerre et dompter les 
indigenes qui ne vonlaicnt pas trarailler pour la 
Sccicte.“ 
Diese Vorgesetzten, ein gewisser van Cycken und 
ein Leutnant Weynants, blieben aber unbehelligt. 
Der erstere war im Sommer 1898 nach Belgien zurück- 
gelehrt und der andere wurde am 14. März 1900 von 
den aufs äußerste getriebenen Eingeborenen in )am- 
binga totgeschlagen. Die Verwandten Morays reichten 
wiederholt Gnadengesuche für ihn beim belgischen 
Herrscherhaus ein. Es wurden ärgtliche Zeugnisse 
vorgebracht, nach denen der Verurteilte sich in der 
Heimat bereits in irrenärztlicher Beobachtung befunden 
habe, daß er wegen Verstandesschwäche, beginnender 
Tuberkulose, als Neuropath und aus dem moralischen 
Gleichgewicht Gebrachter zum Militärdienst untauglich 
befunden worden sei. Nachdem er mehrmals Flucht- 
versuche aus dem Gefängnis unternommen hatte und 
wiederholt wegen störrischen Verhaltens hatte bestraft 
werden müssen, wurde er schließlich, nachdem er ein 
Viertel seiner Strafzeit abgebüßt hatte, nach den be- 
stehenden Bestimmungen bedingungsweise in Freiheit 
gesetzt und nach Belgien entlassen. Derartiges Agenten- 
material wurde von der Gesellschaft, die bezeichnender- 
weise die Gerichtskosten für den Angeklagten getragen 
hatte, auf die Kongoneger losgelassen! 
 
	        
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