III. Das hygienische Gleichgewicht in der Erziehung. 47
Muskelarbeiten häuft sich im Urin ausgeschiedenes Kreatinin und Urin-
säure im Bodensatz an. Die Ermüdung wird als Vergiftung mit
jenen Zersetzungsprodukten zu betrachten sein. Von ihr zu unter-
scheiden ist die durch Einschmelzung von Substanz infolge Ernäh-
rungsmangels entstehende Erschlaffung oder Erschöpfung; beide können
nebeneinander hergehen.
Nach der Biogenhypothese von VERWORN sind die lebenden Ei-
weißstoffe leicht zersetzlich und das Zentrum des Stoffwechsels, an
dem Kohlehydrate, Fette und sonstige organische Substanzen beteiligt sind.
Während der Muskelarbeit wird das labile Eiweißmolekül (Biogen) bis auf
einen stickstoffhaltigen Rest abgebaut, der das ganze Molekül im Erholungs-
zustande wieder aufzubauen imstande ist. Die Leistung der Muskeln beruht
nicht auf der Verbrennung von Eiweiß, sondern das Glykogen (ein Kohle-
hydrat) und andere organische Verbindungen, die bei der Muskelarbeit ver-
braucht werden, bilden die chemische Quelle derselben. Die Erweiterung
der Blutgefäße beim arbeitenden Muskel bewirkt Mehrzuführung von Sauer-
stoff, der Umsatz kann auf das Vielhundertfache steigen. Der Sauerstoff-
verbrauch erhöht sich bei Fingerübungen am Klavier um 12,5%, beim
militärischen Strammstehen um 26%, beim Marschieren um 200 %, beim
Schwimmen um 900 % gegenüber dem Ruhezustande.
Die Theorie von FLÜGGE führt die körperliche Erschlaffung und
auch die geistige Ermüdung zum Teil auf Wärmestauung im Körper zurück.
Im Sommer addiert sich z. B. die Wärme der feuchten Außenluft der Wärme
der Schulkinder, im Winter ist es die zu starke Heizwärme. Die Symptome
der Wärmestauung sind stets zu befürchten bei einer Temperatur von über
290 C bei einem relativen Feuchtigkeitsgehalt von über 50 %, auch wenn
die Luft nur wenig Kohlensäure enthält. Laut anderer Ansicht sind Ermüdung
und Wärmestauung sorgfältig getrennt zu halten; es schließt nicht aus, daß
Ermüdung und Wärmestauung unter geeigneten Umständen zusammen auf-
treten und sich komplizieren.
Nach der Theorie von WEICHARDT besteht. die Ermüdung in che-
misch-physiologischen Vorgängen, wie bereits von Mosso u. a. behauptet
wurde, die einer Allgemeinvergiftung gleichen und sich erst in gesteigerter,
dann in herabgesetzter Reizbarkeit, in Symptomen des Gefühls-, Vorstel-
lungs- und Willenslebens äußern. Das Ermüdunssgift, von WEICHARDT
Kenotoxin genannt, soll sich jedoch nicht im Blute, sondern im Muskelpreß-
saft, in den festen, flüssigen und gasförmigen Exkreten nachweisen lassen.
Es kann aus Muskelpreßsaft, ferner durch Aufspaltung von Eiweißmole-
külen in vitro hergestellt werden und ist als ein höhermolekulares Spalt-
produkt des eigenen Körpereiweißes anzusehen, das körperfremd geworden
ist. Es wirkt im eigenen Körper als Antigen und erzeugt einen spezifischen
Antikörper, das Antikenotoxin, das im Blutserum auftritt. W. unterscheidet
eine aktive Immunisierung durch Injektion einer gewissen Menge Keno-
toxin bei Versuchstieren, die zu einer Mehrproduktion von Antikenotoxin
anregt. Diese tritt auch im Verlaufe jeder körperlich-geistigen Anstrengung
auf und kann das entstehende Kenotoxin sofort entgiften und unwirksam
machen. So erklärt W. die erhöhte Anfangsleistung bei jeder körperlichen
und geistigen Arbeit.