48 III. Das hygienische Gleichgewicht in der Erziehung.
Die Faktoren, die den Verlauf und Erfolg einer gei-
stigen Arbeit bestimmen, sind nach den Untersuchungen
von KRAEPELIN: Anregung, Willensanspannung, Gewöhnung,
Übung, Ermüdung. Durch die ersten vier wird die Leistung
qualitativ und quantitativ günstig beeinflußt. Allmählich je-
doch siegt auch hier die Ermüdung unter ähnlichen Erschei-
nungen wie vorhin. Die Aufmerksamkeit gerät in Schwan-
kungen und nimmt zusehends ab, Reiz- und Unterschieds-
empfindlichkeit werden herabgemindert, die Reproduktion der
Vorstellungen wird fehlerhaft, „die Gedanken kommen nur
noch tropfenweise‘“, der Wert und die Menge der geistigen
Produktion wird ständig beeinträchtigt. Es stellen sich kör-
perliche Begleiterscheinungen ein, erst eine Beschleuni-
gung des Herzschlages, bei längerer Anstrengung Verlang-
samung. Wenn die geistige Tätigkeit sich über Stunden er-
streckt, ist auch die willkürliche Muskulatur ermüdet.
Die Beschleunigung und das Flacherwerden der Atmung wäh-
rend geistiger Tätigkeit wird zum Teil kompensiert durch stär-
kere Zwerchfelltätigkeit. Die Blutverschiebung während
geistiger Arbeit besteht darin, daß sowohl das Gehirn als auch
die Bauchorgane mit Blut überfüllt, die peripheren Organe
blutleer werden. Durch die Erweiterung der Hirngefäße ist
die Sauerstoffaufnahme vermehrt und die Reizbarkeit der
Biogenmoleküle gesteigert. Wenn bei längerer Arbeit Ver-
engerung der Hirngefäße eintritt, so wird der Nervensubstanz
weniger Sauerstoff zugeführt und das Biogenmolekül vor wei-
terer Zersetzung bewahrt. Die Temperatur nimmt im Gehirn
bei längerer geistiger Arbeit zu, durchschnittlich um 0,01 bis
0,02° C in einer Minute.
Im Laufe des Schultages erleidet jeder Schüler, vor allem
der ungeübte, leicht ermüdbare und schwachbegabte einen sich
steigernden Arbeitsverlust. Die Konzentration der Aufmerk-
samkeit, die für das Gelingen wertvoller geistiger Leistungen
unentbehrlich ist, kommt schon in der dritten Vormittags-
stunde nicht mehr anhaltend und gleichförmig zustande, so
daß Lesen, Erzählen, Schreiben, Rechnen und erst recht die
verwickelteren geistigen Prozesse mangelhaft und fehlerhaft
ablaufen. Keineswegs kann man sich auf den Standpunkt
stellen, daß die Unaufmerksamkeit und alles, was damit zu-
sammenhängt, weiter nichts als ein tadelnswertes Verhalten