III. Das hygienische Gleichgewicht in der Erziehung. h7
in Ruhe, sondern angestrengt tätig. Daher ist das Turnen kein
Mittel gegen geistige Überanstrengung, keine Erholung. Na-
mentlich wenn das Turnen die Anstrengung auf einzelne Muskel-
gruppen lokalisiert, wird es eine einseitige Ermüdung herbei-
führen, die dem Körper nicht so zuträglich ist wie die all-
gemeine Ermüdung, die sich nach Spielen, Marschieren, Ru-
dern und Schwimmen einstellt. Anstrengung der Muskeln im
Rahmen der vorhandenen Kräfte soll bei den Übungen der
Jugend nicht fehlen, und Ermüdung, ohne die eine wirksame
Muskeltätigkeit nicht denkbar ist, ist nichts weniger als eine
Schädigung des Körpers, aber Überanstrengung und Über-
müdung muß vermieden werden‘ (Mosso).
4. Die hygienische Frage, wieviel Stunden geistiger
Betätigung dem Jugendlichen in den verschiedenen Alters-
perioden täglich zugemutet werden dürfen, ist durch die Lehr-
pläne der Schulen und die amtlichen Normen für die häusliche
Arbeitszeit auf Grund pädagogischer und medizinischer Gut-
achten entschieden worden. Es blieben jedoch begründete
Zweifel bestehen, ob das hygienische Gleichgewicht wirklich
genügend gewahrt ist und Wünsche, die sich immer von neuem
zu Forderungen verdichten, fanden den Weg in die Öffentlich-
keit. Die Lehrpläne der deutschen höheren Schulen haben ein
ganz anderes Maß der Unterrichtszeit als die Schulen früherer
Jahrhunderte und anderer Staaten. Die Wochenstundenzahl
ist von 20—25 auf nicht weniger als 30—36 hinaufgegangen.
Das hat die Vermehrung der Lehrfächer bewirkt. Doch unter-
scheiden sich die deutschen Schulen auch in der Gegenwart
hierin nicht unwesentlich voneinander. Während die bayeri-
schen Gymnasien nach der geltenden Lehrverfassung vom
Jahre 1891 für die unteren Klassen 25, für die oberen Klassen
29 Stunden festsetzen, für die Realgymnasien 25—33 Pflicht-
stunden bestimmen, legen die preußischen und sächsischen
Schulen 30—36 Pflichtstunden auf. Der Unterschied an
Jahresstunden beträgt!) hiernach im Höchstfalle 316 oder
28,5%. Auf den ganzen Kursus von 9 Jahren berechnet, er-
gibt sich eine Differenz von 2800 Stunden. Trotzdem sind die
Reifezeugnisse sämtlicher deutschen höheren Lehranstalten als
1) TREUTLEIN, Über das Maß und die Austeilung der Unterrichtszeit
in unseren höheren Schulen. Programm. Karlsruhe 1905.