Full text: Der Kanzler.

Gustav Schmoller über Bismarcks Gedanken 
und Erinnerungen. 
Der ungeheure dramatische Eindruck des Werkes scheint 
mir wesentlich darauf zu beruhen, daß es bei aller Schlichtheit. 
und Realistik, bei dem gänzlichen Mangel jedes Dosierens 
und jeder Deklamation die innere Tragik des weltge- 
schichtlichen helden erzählt, der alles Große für sein Vater- 
land nur erreicht durch innere Erregungen und äußere Kämpfe 
so bitterer und heftiger Krt, daß all seine Macht, sein äußerer 
Glanz ihn nicht über seine Einsamkeit und die Richtanerken- 
nung trösten können. So sehr für diese Stimmung seine Ent- 
lassung mit= und nachgewirkt haben mag, — so wenig ist diese 
doch offenbar die Grundursache dieser durchschimmernden 
Stimmung. ZKuch alles, was er vorher erlebt hat, seine 
ganze politische Tätigkeit von 1862 an, tritt uns in der 
Beleuchtung eines erschöpfenden Kampfes und eines Mar- 
tyriums entgegen; und dabei ist das, was an seinem herzen 
nagt, was seine Uervenkraft erschöpft, nicht die Reibung mit 
seinen Feinden; die belebt, erfreut und erfrischt ihn. Nein, 
die Losreißung erst von Gerlach, Stahl, Wagener, später von 
der ganzen konservativen Dartei, von seinem Derwandten 
Kleist-Retzow, seinem Freunde Blanckenburg und auch halb 
von Roon, die Kämpfe mit den Eeneralen, die ihn, den Be- 
gründer all ihres Ruhms, 1870 von jeder Beratung ausschlie- 
zßen, weil er, wie der Kaiser zu Graf E. Stolberg sagte, 1866 
immer recht in seinem Dotum gegen sie gehabt habe, die Rei- 
bungen und Kämpfe mit den andern Ministern, der er- 
schöpfende Kampf gegen die hofkamarilla, über die er nie ganz 
herr wird, die bittere Empfindung, daß bei seiner Entlassung 
1890 durch alle Ministerien die Stimmung einer Befreiung 
von schwerem Joch laut durchbricht, und zuletzt freilich am 
meisten, daß er auch mit seinem vielgeliebten Kaiser nur durch 
Kämpfe der erschütterndsten Art hindurch auskommt, daß die- 
ser 3. B. nach der Kaiserproklamation in Versailles ihn igno- 
riert, an ihm vorbeigeht, den Eeneralen die Hand gibt, 
weil König und Kanzler die Tage vorher sich über die art 
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