76 Erster Theil. Erster Titel.
§. 4. Doch wird auch das Gesinde mit zur häuslichen Gesellschaft gerechnet #).
§. 5. Durch die Abkunft von gemeinschaftlichen Stammelterm werden Familien-
verhältnisse begründet.
§. 6. Personen, welchen vermöge ihrer Geburt 5), Bestimmung oder Hauptbe=
schäftigung?) gleiche Rechte in der bürgerlichen Gesellschaft beigelegt sind, machen zu-
sammen Einen Stands) des Staates aus.
§. 7. Die Mitglieder eines jeden Standes haben, als solche, einzeln?) betrach-
tet, gewisse Rechte und Pflichten.
* 1. Verf.-Urkunde vom 31. Januar 1850.
Art. 3. Die Verfassung und das Gesetz bestimmen, unter welchen Bedingungen die Eigenschaft
eines Preußen und die staatsbürgerlichen Rechte erworben, ausgelibt und verloren werden.
Art. 4. Alle Preußen sind vor dem Gesetze gleich. Standesvorrechte finden nicht statt. Die
öffentlichen Aemter sind unter Einhaltung der von den Gesetzen festgestellten Bedingungen für alle
dazu Befähigten gleich zugänglich ½0).
Der Inhalt derselben ist die von Einzelnwillkür unabhängige Stellung, welche Jeder in diesen Verhält-
nissen einnimmt, also in einer fest bestimmten, bürgerlichen Lebensform. Daher gehören die Fa-
milienverhältnisse hauptsächlich dem absoluten oder öffentlichen Rechte an und darum heißt jedes Fami-
lienverhältniß eines Menschen ein Standesrecht (status). v. Savigny, System, 1, S. 349 ff.
5) Der natürliche Umfang der Familie kann künstlich erweitert werden. Das Römt. wie das
Deutsche Recht kennt verschiedene Institute des erweiterten Famiilienrechts (Sklaverei, Leibeigenschaft
u. s. w.), von welcher nur noch die Vormundschaft Übrig ist. Neu entwickelt aber aus Bedürfniß hat
sich das Gesindeverhältniß, welches sich von dem Rechtsverhältnisse des freien Arbeitsvertraqs (operse lo-
catac) durch die hausherrliche Gewalt, welcher der Dienstbote unterworfen ist, unterscheidet. Die Ideen
der neueren Zeit von Freiheit und Gleichheit haben das Gesindeverhältniß hier und da gelockert oder
auch wohl, wie in Frankreich, als Institut ganz unterdrückt. Das A. L. R. hat dasselbe aufrecht erhal-
ten. Dies ist es, was der §. 4 ausspricht. In Uebereinstimmung hiermit ist das Gesinderecht nicht
unter die Verträge, sondern in das Personenrecht ausgenommen worden. Th. II, Tit. 5.
6) Als Gebmtsstände unterscheidet das A. L. R., in Uebereinstimmung mit dem damaligen gemei-
nen deutschen Rechte (Pütter, von dem Unterschiede der Stände in Deutschland, Gött. 1795; Hüll-
mann, Geschichte des Ursprungs der Stände in Deutschland, Frankf. 1806, 1830, III Th.; Me-
reau, Miscellen zum deutschen Staats= und Privatrechte, 1 Th., Nr. 15), den Adel-(Th. II, Tit. 9),
den Bürger-(Th. II, Tit. 8), den Bauernstand (Th. II, Tit. 7). Der Unterschied dieser drei Stände
zeigte sich früher vorzüglich im öffentlichen Rechte wirksam, weniger im Privatrechte. Der Adelstand
und der Bauernstand hatten mehrere Institute und Rechtsnormen eigenthümlich, welche mit ihren Grund-
besitzverhältnissen zusammenhäugen; dem Bürgerstande waren wieder mehrere Einrichtungen und Nor-
men, welche mit den Gewerbsverhältnissen und städtischen Anstalten in Verbindung standen, eigen,
woraus für jeden dieser Stände ein besonderes Privatrecht entstand.
7) Der Ausdruck, daß Lebensbestimmung oder Hauptbeschäftigung einen besonderen Stand gebe,
bezieht sich auf Berufsstände. Von dergleichen Ständen unterscheidet man, nach der Art der Be-
dürfnisse, welche ihre Thätigkeit zu befriedigen sorgt, zwei Klassen: den Arbeiterstand, welcher für
die physischen Mittel des menschlichen Lebens sorgt, namentlich die Ackerbauer, Handwerker, Künstler,
Handelsleute; und den Stand derjenigen, welche für die geistigen Bedürfnisse dienstbar sind, nament-
lich der Beamten-, Lehr= und Wehrstand. Auf jeden dieser Stände beziehen sich eigenthümliche Rechts-
instirute und Rechtsnormen, welche theils nur dem Privatrechte, theils dem öffentlichen Rechte angehö-
ren. (Th. II, Tit. 10 bis 12, 8).
8) Stand im juristischen Sinne bezeichnet den Inbegriff von Personen, welche durch gleiche,
ihnen durch die Gesetzgebung beigelegte Rechte von Anderen sich unterscheiden.
9) Der einzelne Mensch kann nur diejenigen bürgerlichen Rechte genießen, welche Jedem nach dem
Stande, dem er angehört, zustehen, es kann z. B. ein Bürgerlicher in der Regel nicht adelige Rechte
erwerben. Unter welchen Bedingungen solches ausnahmsweise möglich ist, deutet der §. 8 an. Dies ist
* Sinn dieser Vorschristen, welche aber mit der Zeit sich verändert haben. S. den Zusatz 1 zu
diesem §. 7.
10) Die Idec der Gleichheit der Staatsbürger ist durch diesen Versassungssatz auch für Preußen
realisirt. Sie darf aber, wenn man Mißverständnisse vermeiden will, nur auf die staatsbürgerlichen
(politischen) Rechte bezogen werden; denn sie will nur Bevorzugung oder Zurtlcksetzung im Rechte we-
gen der Geburt, namentlich die schon seit 1807 unpraktisch gewordenen Vorrechte und Aneschließungen
im Staats- und Privatrechte, abgeschafft wissen. Auf die bcsonderen Privatrechte der früheren Geburts-