120 Erster Theil. Dritter Titel.
§. 14. Der Grad der Zurechnung bei den unmittelbaren sowohl. als mittelba-
ren Folgen einer Handlung richtet sich nach dem Grade der Freiheit 4) bei den Han-
delnden.
5. 15. Daß Jemand gegen die Gesetze habe handeln wollen 15), wird nicht ver-
muthet 10).
S. 16. Ein Jeder ist aber auch schuldig, in den Geschäften des bürgerlichen Le-
bens Aufmerksamkeit !7) anzuwenden, daß er den Gesetzen gemaß handele.
8. 17. Wer aus Mangel dieser Aufmerksamkeit wider die Gesetze handelt, der
begeht ein Versehen °).
Verfasser des L. R. eine allgemeine Regel und zwar nach dem für den Fall der Mora geltenden Grund-
satze gebildet, und hier durch den §. 13 vorgeschrieben. Diese Generalisirung nur für bestimmt ge-
staltete Fälle in gewissen obligatorischen Verhältnissen veraulaßt Mißverständnisse. Ein Frachtfuhr-=
mann hatte einen Theil der zum Transporte efangenen Sacheu einem anderen Fuhrmanne (Sub-
stituten) übergeben, und dessen Wagen sammt der Ladung verbrannte in dem Nachtqnartiere, wo
Feuer ausbrach. Der Erste wurde wegen dieses Zufalls in Anspruch genommen, auf Grund dieses
. 13, weil er durch die Weiterverdingung des Frachtgutes ohne Zustiunnung des Absenders eine im
den Gesetzen gemißbilligte Handlung begangen haben sollte: das Gericht erster Sansan verurtheilte ihn
anch. Dieser Fall hat das Pr. des Obertr. 1397 v. 6. Jan. 1844 veranlaßt: „Wenn cin Fracht-
suhrmann ohne Zustimmung des Absenders die ihm zum Transporte anvertraute Waare durch einen
anderen Fuhrmann fahren läßt, so ist diese Substitution an und für sich nicht für eine solche von
den Gesetzen gemißbilligte Handlung zu achten, daß auch der bloß zufällige, auf der Reise die Waare
betreffende Zufall, 3. B. ein Feuerschaden, von dem Frachtfuhrmanne vertreten werden müßte.“
(Entsch. IX. S. 370.) Die Auwendung dieses Gesetzes, §. 13, wird sicher, wenn man die darin zu-
sammengefaßten verschiedenen Fälle unterscheidet und darnach den Fragefall unterordnet, nämlich:
1. rechtswidrige Handlungen mit ihren mittelbaren an sich nicht vorauszusehen gewesenen schädlichen
olgen; 2. kontraktswidriges Verfahren mit einer anvertrauten Sache; 3. Zufall nach Eintritt der
kora, wohin auch der Fall des nuredlichen Besitzes gehört.
(4. A.) Der Fall, wo ein Vertrag nicht erfüllt wird, wenn z. B. ein Fuhrmann die ihm zum
Ueberbringen verdungene Ladung ganz oder zum Theil nicht abliefert, gehört gar nicht hierher, der
Fuhrmann muß einen Entlastungsgrund (Zufall) vorbringen und beweisen, wenn er nicht abliefern
kann; er kann nicht sagen, daß zur Begründung der Kountraktsklage die Behauptung eines ihm zur
Last fallenden vertretbaren Verseheus gehöre, die Klage ist durch den Vertrag begründet, und er kann
sich nur durch eine ihm gegebene Exception befreien. Vergl. das Erk. des Obertr. v. 23. Febr. 1860
(Arch. f. Rechisf. Bd. XXXVII. S. 55).
14) Die Fassung ist mißlungen; sie giebt keinen verständigen Sinn. Denn die Willensfreiheit
des Haudeluden ist Grundbedingung der Zurechnung überhaupt (§. 7), und die Freiheit hat in dieser
Beziehung keine Grade. Der Anedruck „der Freihen“ muß daher unrichtig und der Inhalt des Ge-
setzes ein anderer sein, als der Wortlaut sagt. Nach dem Zusammenhange mit den 88. 7 u. 25 und
mit der Theorie des A. L.R. über das Quantum des zu ersetzenden Schadens ist es wahrscheinlich,
daß er soviel wie „der Moralität“ heißen soll, ein Ausdruck, den Suarez bei der revis. monitor.
in der vorgeschlagenen Fassung dieses Gesetzes: „Der Grad der Zurechnung, sowohl der unmittelba-
ren, als der mutelbaren Folgen, richtet sich nach dem Grade der Moralität bei dem Handelnden“,
auch gebraucht hat. Ges. Rev. Mot. zu 88. 6 — 17 des Entw. S. 6. Alsdann bezieht sich das Ge-
setz auf die Quantität des Schadensersatzes (in Beziehung auf welche das L.R. eine eigenthümliche
Theorie hat), und hat einen sachgemößen Sinn. Der Junhalt ist darnach dieser: Ist der Handelnde
verantwortlich, so ist die Frage: wieviel oder was er zu ersetzen hat, nach dem Grade der Moralität
der Handlung (Vorsaz, grobes, mäßiges, geringes Versehen) zu entscheiden; und dieser Grundsatz
gilt so bei unmittelbaren wie bei mittelbaren Folgen einer Handlung.
15) Definition von Vorsatz (Dolus). Damit wird nicht immer, wie im R. R. geschieht, cine
unsittliche Gesinnung bezeichnet. Drei Auwendungen dieses Begriffs finden sich im L.R.: 1. absicht-
liche Nichterfüllung einer obligatorischen Verbindlichkeit oder Zuwiderhandlung eines Schuldners ge-
gen dieselbe; 2. absichtliche Verletzung eines fremden Rechts (delictum vel qunsi). Bei beiden An-
wendungen ist Versehen (enlpa) und Zufall (casus) der Gegensatz von Dolus. 3. Vorsätzliche Veranu-
lassung eines Irrthums, wodurch der Irrende zu einer Willenserklärung oder Handlung veranlaßt
wird (Betrug, lraus I. 4, §. 84). In allen diesen Fällen kann die Handlung positiv oder auch nur
omissiv sein. Vergl. Anm. 89 zu §. 84, Tit. 4.
15) Der Satz regelt die Beweislast. Die Beweisführung ist hier nur durch Schlüsse aus den
dußeren Umständen möglich, wenn kein Geständniß vorhanden ist.
17) D. i. die rom. diliger#tia. Sorgfalt, diejenige Geistesthätigleit, wodurch der Vorschrift ein
Genüge geleistet, der betroffene Gegenstand vor Schaden bewahrt wird.