Full text: Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten. Erster Theil, Erster Band. (1)

Von Willenserklärungen. 137 
ren Willen bei völliger Verstandeskraft, und nicht während eines Anfalles ihrer Krank- 
heit, geäußert haben. 
§. 25. Sind aber dieselben unter Vonnundschaft gesetzt, so kann, so lange diese 
dauert 37), auf das Vorgeben, daß die Erklärung in einem lichten Zwischenraume er- 
folgt sei, keine Rücksicht genommen werden. 
  
  
Der Wahnsinn kann aber unstreitig auch schon zu jener früheren Zeit vorhanden gewesen fen, doch 
mu lichten Zwischenräumen, sog. dilucidis intervallis, und der Zweisel kann ach darauf beziehen: 
ob die Person zu einem bestimmten Zeitpunkte, dem der Willensäußerung, einen lichten Zwischenramm 
gehabt hade. Wem in diesen Fällen die Beweislast obliege, war vor dem 2.8. streitig. Dieser Streit 
wird durch den §. 24 beseitigt: Daß die Person, deren Wiuensäußerun gen Geisteskrankheit ange- 
griffen wird, zu derselben Zeit wahnsinnig gewesen, muß der Angreiser geerspen, und es hilft ihm da- 
nichts, daß jene Person später geisteskrank befunden wird. — Der Beweis gegen diese Vermuthung 
hat in den meisten Fällen eine an die Unmöglichkeit grenzende Schwierigkeit darin, daß er nur indi- 
rekt durch ein Urtheil Kunftverständiger geführ werden kann und die gewöhnlichen Beweismittel nur 
zur Feststellung von Thatsachen, die dabei zur Grundlage dienen sollen, branchbar sind. Die gericht- 
liche oder notarielle Form der angefochtenen Willenserklärung schließt an sich den Beweis nicht aus, 
denn es handelt sich dabei nicht um die Glaubwürdigkeit der Urkunde, sondern um die objektive Wahr- 
heit der darin bezeugten Meinung des instrumentrenden Beamten über eine Sache, die er, nach der 
Gesetzgebung, eigentlich nicht gründlich versteht. (5. A.) Nach der Meinung des Obertr. sollen die 
Materialien zu den §§. 20, 21, I, 12 ergeben, daß man die Regel im §F. 24 d. T. in Betreff der Ver- 
muthung, daß Nasende und Wahnsinnige, so lange ihnen noch kein Vormund bestellt ist, ihren Willen 
bei völliger Verstandeskraft geäußert haben, auch bezsiglich der Blödsinnigen gelten lassen wollte. Als Be- 
weis dafür ist Bornemann, System, Bd. VI, S. 28 angegeben. Er. d. 20. Sept. 1864 (Arch. f. 
Rechtef. Bd. I.VI. S. 176). Dort steht davon nichts in Beziehung auf Rechtegeschäfte unter Lebenden 
und wenn darüber auch von einer Seite eine solche Acußerung gesallen wäre, was eben nicht erhellet, 
so würde eine solche einseitige Aenßerung gewichtlos sein, da das angenommene Gesetz — der §s. 21— 
die Regel auf Blodsinnige nicht ansgedehnt hat. Aber das Obertr. rechtfertigt seine Meinung noch 
mit einem selbstständigen Grunde und sagt: „Diese Auffassung emspricht denn auch der Wissenschaft, 
wie den gewöhnlichen Lebenserfahrungen, da Geisteskrankheiten — gleich den Körperkrankheiten, aus 
denen sie sich in der Mehrheit der Fälle emwickeln — ihre Stufen haben, wo erst ihre Unheilbarkeit 
oder ihre Beständigkeit eintritt.“ Dieser Grund ergiebt, daß es mit „der Wissenschaft sowie der ge- 
wöhnlichen Lebensersahrung“ in diesem Punkte nichts auf sich hat: das Obertr. hält den Wahnsinn 
und den Blödsinn nach Entstehung und Verlauf seiner Geschichte für völlig einerlei. Wendet man 
sich aber an die Lehrer der gerichtlichen Medizin, so erfährt man etwas Anderes. „Der Entstehung 
dieses Krankheitszustandes (des Blödsinns) — sagt Mende, aueführliches Handbuch der gerichtlichen 
Medizin, Th. VI. S. 147, 8. 171 — liegt häufig eine angeborene Anlage zum Grunde, seltener findet 
man ihn aber als überhaupt angeboren, wie beim Cretin, häufiger als angeerbt; in welchem Falle er 
gemeiniglich erst kurz vor dem Eintritte der Pubertät zum Ansbruche kommt.“ Und §. 173, S. 149: 
„Oinsichtlich der Heilbarkeit — ist der Blödsinn allerdiugs die Seelenkrankheit, in der die Borhersage am 
ungünstigsten ist, doch darf man ihn nicht in allen Gestalten und unter allen Umständen für 
ganz nuheilbar erklären. Er ist dies nur, wenn er angeboren ist, und die Gegenwart des Uebels 
in dem ganzen Aeußeren, besonders aber in der Kleinheit und Flachbeit des Schadels, und in dem 
verhältnißmäßig großen Gesichte ausgeprägt ist. Auch beim nachentstandenen Blädsinn kommt nach 
umd nach eine ganz ähnliche Verbildung des Körpers zu Stande, und sie liefert dann jedesmal den 
Beweis der Unheilbarken.“ Mit dem ahnsiune verhält es sich ganz anders, und es ist erfahrungs- 
mäßig ganz richtig, was die Partei in jenem Rechtsstreite a. a. O. S. 176 gegen die Ansicht des Rich- 
ters geltend macht, daß bei einem Blödsinnigen keine lueide intervalla eintreten. Wer heute blödsin- 
nig ist, der war es wahrscheinlich auch gestern, vorgestern und noch feül# Hiernach ist es völli 
ungerechtfertigt, die Vermuthung des s. 24, gegen den Wortlant des Gesetzes, auch an 
Bloödsinnige, die der Gesetzgeber ans guten Gründen wengelassen hat, zu beziehen. Zu diesem Refsul= 
tate sind auch die Gesetzrevisoren gekommen, welche zu dem §. 24 sagen: „Anders, als bei Wahnsin- 
nigen, gestaltet sich das Rechtsverhältniß in Betreff der Blödsinnigen. Das Gesetz bezeichnet mit die- 
sem Auedrucke diesenigen, welche aus Geistesschwöche die Folgen ihrer Handlungen zu Überlegen nicht 
im Stande sind (s. 28. Tit. 1); von lichten Zwischenränmen kann dader nicht die Rede 
sein, der ustand der Geistesschwäche muß als fortdauernd gedacht werden. Des- 
kosen läßt sich hier eine solche Vermuthung, wie sie bei den Wahnsinnigen die Abstufung bildet, nicht 
aufstellen.“ Motive zu Tit. 4, Penzum XlI, S. 29. Dem tritt auch der §. 27 ausdrücklich entge- 
gen, welcher mit seiner besonderen Bermuthung das Vorhandensein der „Geistesschwäche“ voraussetzt. 
37) Mit der Bevormundung tritt eine nristische Handlungssähigkeit der betroffenen Person ein. 
Deshalb kommt bei der Beurheilung der Gültigkeit einer Willeusäußerung des Bevormundeten nichts 
darauf an: ob gleichzeitig auch physische Willensunsahigkeit vorhanden war. Ein wegen Geistes-
	        
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