Full text: Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten. Erster Theil, Erster Band. (1)

Von Willenserklärungen. 139 
kaubt worden, sind, so lange diese Trunkenheit dauert, den Wahnsinnigen gleich zu 
achten. (5. 23.) 
§. 29. Ein Gleiches gilt von denjenigen, welche durch Schrecken, Furcht, Zorm 10), 
oder andere beftige Leidenschaft, in einen Zustand versetzt worden, worin sie ihrer 
Vemunft nicht mächtig waren½). 
§. 30. Daß Trunkenheit oder Leidenschaft bis zu einem solchen Grade gestiegen 
sind, wird nicht vermuthet. (5. 91)1½). 
  
verleiten den trunkenen oder von heftigen Leidenschaften eingenommenen Menschen zu Irrthümern des 
Verstandes. Jusoweit ein solcher Irrthum das Snbjekt, Objekt oder esentialla negotl betrifft, ver- 
ritelt er W Effekt der Willenserklärung schon an und für sich, ohne Rücksicht auf die Quellen, wor- 
aus er entsprang. Betrifft aber der Irrthum bloß Nebenumstände, so kann man in koro e#xterno 
eine Unwirksamkeit der Willenserklärungen im Allgemeinen darans nicht herleiten, ohne zu einer all- 
zugroßen Ungewißheit in den Geschästen und Verhandlungen des bürgerlichen Lebens Anlaß zu geben. 
Hat hingegen Jemand den Anderen in Umstände versetzt, die ihn zu einem solchen Jrrthume verleiten, 
so ist es den Grundsätzen sowohl des Rechts, als der Billigkeit gemäß, daß er daraus nicht Vortheil 
ziehen lann.“ (Bornemann, Spystem I, S. 332; Cutsch. des Obertr. Bd. XXXVIII. S. 12.) 
Hiernach ist zu unterscheiden. a) Betrifft der Irrthum des Verstandes essemialin negotlü. so ist nach 
allgemeinen Grurdsätzen (§5. 75 ff.) die Willenserklärung ungültig. b) Bezieht sich der Irrthinn auf 
Nebenumstände, so wird, abweichend von der sonstigen Regel (F. 83), die Willenserklärung doch ver- 
eitelt, wenn derjenige, welcher darnus ein Recht erlangen will, die Trunkenheit herbeigeführt hat (§. 91). 
Bergl. Erk. des Obertr. v. 29. März 1858 (Emsch. a. a. O. S. 13). "„ 
(5. A.) In dem ersten Wechselfalle, wenn „Trunkenheit r. den Gebrauch der Vernunft ganz aus- 
schließen“ (der Fall des §. 28), bedarf es zur Erhaltung des Klagrechte beziehungeweise Einwandes 
nicht der im §. 92 d. T. vorgeschriebenen vorgäugigen Anzeige, es muß aber der Mangel der zur Ein- 
Aig des Vertrages erforderlichen Willensfähigkeit zur Fenl der Vertragsschließung bewiesen werden. 
4 s. unten, Annl. 96 a, Abs. 2 zu F. 92 d. T. 
40) Schwerlich wird der Fall vorkommen, daß Jemand in dem hier voransgesetzten Grade des 
Zornes, in welchem er kein Bewußtiein hat, eine Rechtshandlung vollzieht. Veranlassung zu dieser 
Gleichstellung des Zornigen mit dem Wahnsinnigen hat die L. 48 D. de regx Jur. (L., 17) und L. 3 
de divort. (XXIV. 2) gegeben, wo von der feierlichen Formel der Ehescheidung Rede ist, die schwerlich 
ein aus Zorn Bewußtloser wird aussprechen können. 
41) Jeder mit dem Wahnsinne gleichartige Zustand, d. i. ein solcher, worin zwar eine äußerliche 
menschliche Thätigkeit vorhanden ist, aber dem Menschen der Vernunftgebrauch sehrr. ist der für den 
Fall des Wahnsinns gegebenen Regel unterworfen, ohne Unterschied der Entstehungsursache. Derglei- 
chen Zustände sind noch das Fieberdelirium, das Nachtwandeln, der Somnambulismus. 
42) Die Verweisung auf §. 91 ergiebt den Gegensatz: wenn auch Trunkenheit rc. erwiesen wird, 
so ist damit doch ein bewußtloser Zustand noch nicht dargethan, folglich wird angenommen, daß die 
im trunkenen oder leidenschaftlichen Zustande gegebenen Willenserklärungen mit Bewußtsein, also an 
sich gültig geschehen sind. Der 8. 30 bezieht sich auf den Zustand der Bewußtlosigkeit, verbunden mit 
dem äußercu Scheine einer menschlichen Thätigkeit. S. die vor. Aum. Was in diesem Zustande etwa 
ausgesprochen oder geschrieben wird, gilt für nichts. Die Meinungen find darüber getheilt: ob zur 
Erhaltung des Aufecheungsrechtes hier gleichfalls die im 8. 82 vorgeschriebene #tägige Frist zur vorläu- 
sigen Anmeldung beobachtet werden müsse. Nein, weil Fristbestimmungen keine analoge Anwendung 
finden, und weil dert, im H. 92, von rechtsgültigen Willenserklärungen Rede ist, die aus einem beson- 
deren Grunde, nämlich wegen mißbräuchlicher Benutzung einer ausgeregten Stimmung des Erklärenden 
zur Begründung eines Rechts für den Anderen, unwirksam gemacht werden sollen; wogegen hier gar 
keine Willenserklärung, sondern nur der äußere, der betroffsenen Person unbewußte Schein einer solchen 
vorhanden ist. Der Fall hat übrigens ein sehr untergeordnetes Interesse. Denn bei der Vermuthung 
des §. 30 verb. mit §.91 wird es kaum vorkommen, daß ein bewußtloser Zustand eines Menschen aus 
Trunkenheit erweislich zu macken wäre, in welcheur dersclbe einc rechtliche Willeuserklärung ohne Mit- 
wirkung eines Auderen auegesprochen oder unterschrieben häre. Vergl. Anm. 39. — (4. A.) Das 
Obertr. hat in einein Erk. v. 19. Sept. 1862 ausgesprochen: Es folge aus der im §. 30 ansgedrückten 
Ansicht (7) des Gesetzgebers, daß der Eimvand der Trunkeuhelt nicht zu begünstigen sei, nicht, daß der 
Zusan der Trunkeudeit, von welchem der §. 28 handelt, ein sinnloser gewesen sein müsse. Die 
eugen, welche bestätigt hatten, daß die betreffende Person sehr, nach dem Urtheile des Einen sogar 
vollständig betrunken war, hatten sich nämlich ein Urtheil darlber, ob sie sinnlos betrunken ge- 
wesen, auszusprechen nicht getraum. (Arch. f. Rechtsf. Bd. XIVII, S. 19.) Die Ausdrucksweise des 
Obertr. ist inkorrekt, wenn nicht gar unpassend. Der Gesetzgeber drückt im §. 30 nicht eine Ansicht, 
sondern er spricht einen Rechtssagctz aus. Von einer Ansicht kann hier nicht Rede scin.
	        
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