Full text: Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten. Erster Theil, Erster Band. (1)

Gewalt, Be- 
trug. 
Berheim- 
lichung. 
340 Erster Theil. Siebenter Titel. 
§. 97. Ebenso wenig können durch Gewalt enzwungene, oder durch Betrug ver- 
anlaßte Handlungen oder Duldungen den Besitz eines Rechis"#d bewirken. 
K. 98. Auch durch heimlich unternommene Handlungen kann der Besitz im recht- 
lichen Sinne weder erworben, noch fortgesetzt werden. 
5. 99. Handlungen, welche dem Andern nur durch seine eigene, oder durch sei- 
ner Stellvertreter Sorglosigkeit und Unachtsamkeit unbekannt geblieben, sind für heim- 
lich unternommen nicht zu achten 3). 
8. 100. Vielmehr muß die Absicht, die Handlung zu verheimlichen, aus der 
ungewöhnlichen Zeit, wo sie vorgenommen; aus den Anstalten, welche, um sie der 
Kenntniß des Andern zu entziehen, getroffen worden; oder aus andem vorhergehen- 
den, begleitenden oder nachfolgenden Umständen klar erhellen 60). 
8. 101. Die gegen die Absicht der Verheimlichung streitende Vermuthung ###) ist 
ja auch der bloße Inhaber die possessorischen Schutzmittel hat. S§. 141, 146, 147. Vielmehr ist 
anzunehmen, daß nur der Usnkapionsbesitz („Besitz im rechtlichen Sinne“ §. 98), d. i. die röm. 
possessio civllis verneint wird. So ausgesaßt finder sich Uebereinstimmung des L. R. mit dem R. R. 
— (5. A.) Darin allein, daß der Käufer das ihm verkaufte Grundstück ohne Weiteres in Besitz ge- 
nommen hat, ohne eine ihm von dem Verkäuser geleistete Uebergabe damhun zu können, kann eine 
Handlung unerlaubter Privatgewalt nicht gefunden werden. Erk. des Obertr. vom 25. Septbr. 1863 
(Arch. f. Pechtel Bd. LI. S. 129). Vergl. unten die Anm. 61 zu §. 101 d. T. — Eine sonst als 
Turbation sich qualiflzirende Handlung kann als solche nicht angesehen werden, wenn sie nach einer 
zwischen den Parteien getrofsenen Vereinbarung als eine berechtigte erscheint, der angeblich Gestörte 
oder Entsetzte sich also im Voraus einverstanden mit derselben erklärt hat, da alsdann jene Fedler 
der Handlung (Gewalt, List, heimlich oder binweise) des angeblichen Störers als vorhanden nicht an- 
enommen werden können. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Vereinbarung in rechtsverbind- 
licher Form zu Stande gekommen ist, weil auch die kormlose Vereinbarung Gewalt, List und Heim- 
lichkeit ausschließt. — Ebenso kann ein, solcher Verabredung, ohne erklärten Rücktritt von derselben, 
zuigegen ergriffener oder fortgesetzter Besitz nach §. 14, I, 31 der A.G.O. und nach den 88. o6 flf. 
d. T. keinen Anspruch auf Schutz im Possessorienprozesse machen. Erk. dess. vom 28. Februar 1868 
(Arch. f. Rechtsf. Bd. LXXI, S. 85). 
Gegen denjenigen, von welchem der Besitz vi, elam vel precario erworben ist, hat ein solcher 
Besitz keine rechtliche Wirkung, doch nur in Beziehung auf den fehlerhaften Besitzuehmer. Denn die 
Vorschrift der §§. 96. ff. steht nur demjenigen entgegen, der den Besitz auf solche fehlerhafte Weise 
ergriffen hat, nicht seinem Nachfolger im esige. r Letztere hat dader die possessorischen Rechts- 
muttel auch gegen den, welchen sein Besitzvorgänger des Besitzes vl. clam vel precario entsetzt hat. 
Pr. 1158, v. 13. Juni 1842. (3. A.) Ein Dritter, gegen welchen der Besitz nicht vi, clam vel 
precario ergriffen worden, kann dem Besitzer den Einwand der fehlerhaften Besitzergreifung nicht ent- 
gegensetzen. Erk. des Obertr. v. 2. Dezbr. 1858. 
58) Daß nur in Beziehung auf den Rechtsbesitz auch des Betruges als ein die Erwerbung hin- 
dernder Fehler ausdrücklich erwähnt g hat seinen Grund in der urhrüngsichen Bestimmung, welche 
auf den Rechtsbesitz beschränkt sein sollte. Mau fand dannu aber, daß „die vitia der Besitzergreifung, 
welche vi, elam vel precario geschieht, nicht bloß bei Rechten, sondern auch bei körperlichen Sachen 
vorkommen, und also die 88. 60 — 64 und 68, welche bloß von Besitznehmung der Rechte handelten, 
generalisirt werden müssen.“" Simon, S. 265. Deshalb versetzte man die Stellen. Der Betrug 
soll, nach dieser deutlich ausgesprochenen Absicht, in seiner Wirkung nicht auf die juris quasi posses- 
sib beschränkt sein, vielmehr als ein vitium auch bei dem Sachbesitze in Betracht kommen. 
(4. A.) Wenn zwei Bühlen an demselben Flusse sich gegenüber liegen, so können Handlungen, 
welche der Besitzer der einen Mühle zu dem Zwecke vornimmt, um den Wasserbedarf derselben vor- 
zugsweise zu berücksichtigen und nur das Überflüssige Wasser der anderen Mühle zuzuwenden, für un- 
erlaubte, einen rechmöhigen Besitz und die Verjährung zu begründen ungeeignete, nicht erachtet wer- 
den. Erk. des Obertr. v. 10. Juli 1857 (Arch. f. Rechtsf. Bd. XXVI, S. 110). 
59) Dann findet auch die Restitution gegen die vollendete Verjährung nicht statt. Pr. 1280, 
v. 24. März 1843 (Entsch. Bd. VIII, S. 258). 
60) Bei der Frage: ob eine Besitzstörung oder Entsetzung für eine heimliche zu erachten sei, oder 
nicht, kommen die §5. 99, 100, weil sie sich nur auf die Besitzergreifung beziehen, nicht zur Anwen- 
dung. Pr. 1369, v. 29. Nov. 1843. Es ist unwahrscheinlich, daß die Verf. einen solchen Unter- 
schied gewollt haben, der in der Wirklichkeit nicht existirt. Denn wenn die Besitzer greifung heim- 
lich e/cieh. so ist auch die Besitzentsetzung des besherigen Besitzers heimlich bewerkstelligt. Denn 
Beides geschicht durch eine und dieselbe äußere Handlung. 
61) Daraus allein, daß der Vorbesitzer die Uebergabe nicht geleistet hat, solgt noch nicht, daß 
 
	        
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