Full text: Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten. Erster Theil, Erster Band. (1)

Bon Gewahrsam und Besfttz. 345 
8. 119. So lange eine Sache sich noch an einem Orte befindet. von dessen Zu- 
gange der Besitzer Andere auszuschließen berechtigt ist, kann dieselbe nicht für verlassen 
angesehen werden. 
§. 120. So lange die Merkmale, womit das Eigenthum einer in Besitz genom- 
menen Sache bezeichnet zu werden pflegt, an der Sache noch kennbar vorhanden sind, 
kann nicht vermuthet werden, daß der vorige Besitzer dieselbe verlassen habe. 
8. 121. Aber auch durch die Auslöschung des Zeichens allein wird der Besitzer 
des einmal ergriffenen Besitzes nicht entsetzt. 
§. 122. Wenn ein Anderer den Besitz einer aus der Gewahrsam des vorigen 
Besitzers gekommenen Sache auf eine fehlerfreie 7°) Art (SS. 96— 108) ergriffen hat; 
so hört der vorige Besitz auf7#). 
5. 123. Soweit Hemand seinen Besitz einem Andern überträgt, hat er ihn für 
sich selbst verloren. 
s. 124. Durch Einräumung des unvollständigen Besitzes an einen Andern wird 
der vollständige Besitz des bisherigen Besitzers fortgesetzt 7). 
8. 125. Wer eine Sache für einen Andern inne hat, oder unvollständig besitzt, 
kann diesen seines Besitzes nur durch solche Handlungen entsetzen, welche die Eigen- 
schaften einer neuen Besitzergreifung an sich haben. (S. 70.) 
§. 126. Der Besitz des Rechts, von einem Andem etwas zu fordem, (eines af- 
firmativen Rechts) geht verloren, wenn der bisher Verpflichtete die fernere Erfüllung 
der von ihm geforderten Pflicht verweigert77), und der Andere sich dabei beruhigt 7d ). 
§. 127. Der Besitz des Rechts, etwas zu thun (eines negativen Rechts), hört 
auf; wenn der Andere den Besitz des entgegengesetzten Untersagungsrechts erworben 
at 7). 
768) Vergl. o. die Anm. 61. 
762) (5 A.) Die Gewahrsam an einem frei zugänglichen Grundstülcke geht verloren, sobald der 
Besitzer von demselben entfernt ist, denn das physische Vermögen, mit Aueschließung Anderer dar- 
Über zu verfügen (§. 1 d. T.), ist dann ausgehoben. Daher wird durch die auf fehlerfreie Art er- 
solgte Ergreifung des Besitzes eines solchen Grundstückes der bisherige Besitz eines Anderen aufgeho- 
ben und ein neuer Besitz erworben. Der gemeinrechtliche Güunsa, daß zum Verluste des Besitzes 
an Grungstücken durch Br eines Fremden das Bewußtsein des bisherigen Besitzers von 
  
dieser Apprehension erforderlich sei, ist im preußischen Rechte nicht wiederzufinden. Erk. des Obertr. 
vom 25. September 18963 (Archiv f. Rechtsf. Bd. LI. S. 130). 
76 d) (4. A.) Das geschieht auch durch Handlungen des Pächters eines Grundstücks, welche sich 
auf die Erhaltung oder Hortsegung des Besitzes von Rechten dieses Grundstücks beziehen; solche Hand- 
lungen kommen mithin bei der erwerbenden Verjährung dem Eigenthümer zu Statten, ohne daß es 
dazu eines besonderen Austrages oder einer besonderen Anweisung desselben bedarf. Wenn aber der 
Pächter des herrschenden Grundstücks zugleich der Eigenthümer des dienenden ist, so ist nicht ohne 
Weiteres anzunehmen, daß die von ihm vorgenommenen Handlungen in seiner Eigenschaft als Päch- 
ter, also für den Eigenthümer des herrschenden Grundstücks ausgeübt worden sind. In diesem Falle 
ruhet die Verjährung bis nach Beendigung der Pachtzeit. Erk. des Obertrib. vom 5. Juni 1856 
(Arch. f. Rechtss. Bd. XXII, S. 17). Vergl. o. Anm. 21. 
77) Die Weigerung einer Korporation kann nicht durch einzelne Mitglieder, sondern nur durch 
den verfassungsmäßigen Beschluß derjenigen Personen, welche den Willen der juristischen Personen 
zu produziren haben, ausgesprochen werden. 
78) ün Tit. 9, §. 502 und das Pr. 882 in der Anm. 2 dazu. 
(4. A.) Die Bestimmung des S§. 176 ist bei der Ersitzung nicht anwendbar. Erk. des Obertr. 
vom 13. März 1851 (Arch. . Rechtsf. Bd. 1II, S. 203). 
79) Die Frage: ob der Besitz von negativen Rechten, 3. B. einer Wegegerechtigkeit, nur durch 
Erwerbung eines entgegenstehenden Untersagungsrechts, oder auch schon durch bloße Entsetzung auf- 
gehoben werde, ist gegenstandslos. Denn es ist vollkommen wahr, daß ein Eigenthümer, welcher 
dem bieherigen Servitutberechtigten die Servitut dergestalt abgewinnt, daß derselbe nicht mehr über 
das Grungstück gehen darf, dadurch kein selbstständiges Untersagungerecht auf sein eigenes Grundstück 
erwirbt, sondern nur sein Eigenthum freimacht: Frgich ist es auch wahr, daß er nicht den Besitz 
eines solchen wesenlosen Untersagungsrechts durch eine fehlerfreie Verhinderung der ferneren Anslbung 
des Wegerechts erwerben kann. verlangt aber der §. 127 auch nicht; er deutet vielmehr nur 
insonderheit 
dei Rechten.
	        
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