352 Erster Theil. Siebenter Titel.
gerechtigkeit über das Nachbargrundstück von dem Eigenthümer des letzteren wegen Feldfrevels denun-
ziirt. Auf diese Denunziation wurde ein Strafmandat an ihn erlassen, auf seinen Widerspruch von
dem Strafrichter das Verfahren sfuspendirt und er angewiesen, den Einwand zustehenden Rechts vor
dem Civilrichter durchzuführen. Er hätte nun können die coufessorische Klage in petitorio anwenden,
er tia jedoch possessorisch wegen Turbation in seinem Besitz. Diese Klage wies der Justanzrichter
ab. Das Odertribunal dagegen erkannte konsequent die Besitzstörungsklage für zuläfsig in einem sol-
chen Falle, wenn die Denunziation den Erfolg gehabt hat, den Besitzstand zu alteriren; diese Folge
fei, was der erste Richter verkannt habe, entscheidend. Erk. vom 24. April 1868 (Archiv f. Rechtsf.
Zd. LXX, S. 297). Anders ist es, wenn die Denunziation durch Freisprechung beseitigt worden ist,
und hierauf wegen Besitzstorung geklagt wird: in diesem Falle ist die Possessorienklage zum Schutze
des Besitzes nicht mehr nöthig, weil es nun an der Besiystörung fehlt. Vergl. Erk. des Obertr. vom
18. Sept. 1850 (Arch. f. Rechtef. Bd. 111. S. 271). In eineim Erk. vom 16. Febr. 1855 (Arch. f.
Rechtef. Bd. XVII, S. 13) sagt das Obertr.: die Denunziation wegen unbefugten Fischens enthalte
keine Besitzstörung. Die Denunziation an sich freilich nicht, fo wenig wie eine Klage, aber es kommt
auf die Folge an. Ebeuso wenig kann cine heimliche und listige Besitzstörung gedacht werden, und
doch nimmt der §F. 150 (,solchergestalt“) auch eine solche an, was den röm. Juristen ganz unbekannt
war. Vergl. aber Pr.-O. Tit. 31, 8. 3.
92) Zur Ungebühr, d. h. durch irgend eine nach Beschaffenheit des Falles nicht zulässige Privat-
gewalt oder Selbsthülse (oder Androhung der Selbsthülse), wenngleich dicselbe nicht eine der bestimm-
ten fehlerhaften Formen der Besitzergreifung annimmt. Vergl. den Rechtsfall in den Rechtef.
Bd. 1. S. 178. So enthält z. B. eine im Interesse der Konservirung des Kirchengebäudes einer Ge-
meinde von dem Borstande getroffene, allgemeine Maßregel (der Kirchenvorstand hatte in dem Falle
alle Kirchenbänke anstreichen lassen, und darunter auch eine erbliche, verschlossen gedaltene Kirchenbank
des Besitzklägers), welche auch auf eine, einen Theil des Gebäudes bildende, verschiossene erbliche Bank
ausgedehnt worden, keine Turbation des Besitzes im Sinne der 58§. 146. Erk. des Obertr. v. 9. Juli
1851 (Arch. f. Rechtsf. Bd. IV. S. 5 und J. M. Bl. 1854, S. 108). (4. A. Denn eine sich als Aus-
fluß eines Rechtes darstellende Handlung darf nicht als Besitzstörung angesehen werden. Erk. des Obertr.
v. 30. Januar 1860, Arch. f. Rechtsf. Bd. XXXVI, S. 199). Eine sich als Ausfluß eines Rechte
darstellende Handlung ist es anch, wenn eine erlaubte Gesellschaft ein Mitglied ausschließt. Gegen die-
sen Beschluß kann der Ausgestoßene sich nicht durch eine Besitzklage schützen, sondern es steht ihm nur
frei, den Beschluß selbst als unrechtmäßig anzugreifen. (Th. 11, Tit. 6, S§. 14, 44.) Ein Jude,
welcher von seiner Religionsgesellschaft ausgeschlossen worden war, wollte dies dadurch umgehen, daß
er sich als Mitmiether des Synagogenlokals darstellte und die Vorsteher, welche ihm den von ihm
bisher innegehabten Sitz ennogen häuen, in poss. summ. belangte. Die Klage wurde abgewiesen.
Ob der Störer, mit Hülfe des Richters, auf Grund eines Rechtstitels seinen Zweck hätte erreichen
können, macht die Besitzstorungsklage nicht unwirksam: der Einwand des Rechtes zum Besitze ist un-
zulässig; denn ein Jeder muß gegen unerlaubtr Selbstdülfe geschützt werden. Dieser Rechtssatz wird
verletzt, nicht erwa der Satz, daß es bei Possessorienklagen nicht auf das Recht zum Besitze, vielmehr
lediglich auf den neuesten Besitz ankomme (denn dieses ist eben nur eine prozessualische Frage in Fulge
jenes Rechtssatzes), — wenn der Richter annimmt, daß der Störer zu der besitzstörenden oder besitz-
entziehenden Handlung befugt gewesen sei, weil er auf Grund eines Vertrages Sicherheit habe fordern
oder der Verfügung des Gestörten Über die Sache habe Einhalt thun können. Pr. des Obertr. vom
10. Oktober 1848 in Sachen Wiener w. v. Wilke, 3%/1% III, 486. Das Obertr. hat auch den
Sat anerkannt, daß, weun über die Frage zu entscheiden: ob die Handlung, welche als besitzstörende
bezeichnet wird, den Charakter einer Turbation darum nicht an sich trage, weil sie als Ausfluß eines
Rechts sich darstelle, auch im Possessorienstreite das Recht zur Vornahme jener Handlung der Beur-
theilung unterzogen werden müsse. Erk. vom 31. Januar 1853 (Cntsch. Bd. XXV, S. 1). Dabei
versteht sich, daß die Berechtigung zu der fr. Handlung nicht aus dem Rechte zum Besitze bdergenom-
men werden darf, sondern aus einem Rechtsstande, der in Uebung ist, fließen muß; sonst würde sie
eine Besigergreifung, folglich Störung des Anderen enthalten. Die Frage über die Grenzen der Be-
fugnisse eines Eigenthümers und Servitutberechtigten, wenn nicht der Letztere ein Untersagungerecht
gegen den Esgem Umer erworben hat, oder in seinem Besitze unmittelbar gestört wird, wie 1. B.,
wenn einem Wegeberechtigten der Weg versperrt wird (Ulrich, Arch., Bd. VIII, S. 286 und Erk.
des Obertr. v. 5. Dezbr. 1860, Urch. 4. Rechtsf. Bd. XI. S. 79), — kann in possessorio nicht aus-
gemacht werden; namentlich ist das possessorium unzulässig, wenn z. B. der Eigenthümer eine Trist,
auf welche ein Anderer ein Mitbehütungsrecht hat, mit Bäumen bepflanzt; wenn der Eigenthümer
eine Forstparzelle, in welcher ein Anderer ein Hütungsrecht hat, mit einem Wildzaune umgiebt, in
demselben jedoch Oeffnungen für den Eintrin des Biehes läßt; wenn der Eigenthlmer die Sichelgrä-
serei ausübt, wo ein Anderer ein Hütungsrecht hat. Eutsch. des Obertr. v. 9. Juli 1851, 14. Juli
1851, 26. Jan. 1852, 10. Februar 1851 (J. M. Bl. 1854, S. 102). Zu vergl. oben, Anm. 50 zu
8. 81. — Im Possessorienprozesse kommt cs nur auf den Besitz, nicht auf die Formen der Ener-
bung an. Pr. des Obertr. vom 18. Juli 1843 (Schles. Archiv Bd. V. S. 101).