Full text: Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten. Erster Theil, Erster Band. (1)

Bon Gewahrsam und Besitz. 357 
§. 177. Alles Vorstehende (S§s. 169 — 176) gilt nur auf den Fall, wenn der Berhaltuiss 
Besitz redlich ist. und unredli- 
8. 178. Der unredliche Besitzer muß immer dem redlichen weichen. sr 
§. 179. Jeder“") Besitzer hat in der Regel die Vermuthung der Rechtmäßigkeit 
und Redlichkeit seines Besitzes für sich. 
S§. 180. Er ist also, wenn er deshalb in Anspruch genommen wird, den Titel 
seines Besitzes anzugeben und nachzuweisen nicht schuldig 5). 
§. 181. Die Vermuthung, daß Personen und Eigenthum frei sind #), überwiegt 
jedoch die Vermuthung für die Rechtmäßigkeit des Besitzes. 
§. 182. Wenn also auch Jemand in dem Besitze, die Freiheit oder das Eigen- 
thum eines Andem einzuschränken, sich befindet, so muß er dennoch sein Recht zu die- 
sem Besitze angeben und nachweisen ). 
8. 183. Von dieser Regel findet aber eine Ausnahme statt, in sofern besondere 
Gesetze dergleichen Einschränkungen gegen Personen eines gewissen Standes ausdrücklich 
begründen. (Th. II, Tit. 7, Abschn. 3) 7). 
4 % (é. A.) Jeder gegenwärtige wirkliche und auch unvollstöndige Besitzer nämlich, nicht etwa auch 
ein voriger Besitzer, der wider den gegenwärtigen Besitzer mit Eigenthumsansprüchen auftritt. Die 
durch den F. 179 gegründete Vermuthung bezieht sich auf die Stellung des Beklagten im Vindikations- 
prozesse; der Kläger kann seine Klage nicht bloß auf die Bermuthung des §. 179 gründen. Vergl. 
v. Savigny, Obligationenrecht, Bd. II. S. 156, und, in Betreff des unwollständigen Besitzers, 
Erk. des Obertr. v. 16. Juli 1851 (Arch. f. Rechtsf. Bd. II, S. 329). 
5) Hieraus folgt nicht, daß die Vindikationsklage durch die Behauptung eines unredlichen Erwer- 
bes auf Seiten des beklagten Besitzers begründet werden müsse und durch den Beweis derselben be- 
dingt sei. Der Vindikationskläger hat durch den Beweis seines Eigenthums den vollständigen auch 
redlichen Besitzer vollständig überwunden. s§. 175—177 d. T. und 65. 1 ff., Tit. 15. Vergl. Enisch. 
des Obertr. Bd. XI. S. 300. 
(/4. A.) Der Besitzer kann weder nach preußischem noch nach gemeinem Rechte mit der Diffama- 
tionsklage belangt und zur Klage provozirt werden. Das findet nach preußischem Rechte auch auf den 
Rechtsbesitgg Anwendung. Pr. des Obertr. 647, vom 9. April 1839 (Präj.= Samml. 1, S. 253); 
vom 15. Januar 1855 (Arch. f. Rechtsf. Bd. XV. S. 331); vom 18. Februar 1863 (Arch. f. Rechtsf. 
-d. XLVII, S. 349). 
5 ) Unten, §. 23, Tit. 8 und §. 14, Tit. 19. 
6) Hiermit ist ein Meinungsstreit unter den Civilisten jener Zeit über die Beweislast für die 
aichige Meinung entschieden. Die gedachte Bermuthung (der Satz gehört der Vermuthungstheorie über 
die Beweislast an, welche durch das ganze L. R. berrschy entbindet den Eigenthümer von der Beweis- 
last, wenn ein Anderer ihm gegenüber das Recht geltend macht, das Eigenthum einzuschränken, selbst 
dann, wenn der Prätendent der Einschränkung sich im Besitze des einschränkenden Rechts befindet, und 
zw ohne Unterschied: ob der Besiter (Eigenthümer) der Sache Beklagter oder Kläger ist, also auch 
i der in Form einer uneigentlichen Rekonvention angestellten Negatorienklage, mittelst welcher Be- 
freiung von Einschränkungen des Eigenthums, insbesondere von Reallasten und Abgaben in Anspruch 
ommen wird. Pr. des Obertr. vom 6. Oltober 1847. (Entsch. des Obertr. Bd. XV. S. 452.) 
ach einer naturgemäßen Auffassung des Eigenthums und der Eiuschränkungen des Eigenthums be- 
darf es hierzu der Hülse einer Präsumtion nicht; denn das Eigenthum beherrscht die Sache in ihrer 
gangen Totalität; wer also das Eigenthum eines qualitativen Absplisses davon (eines einschränkenden 
echts) behauptet und dem Besitzer der Sache abfordert, muß nach den Grundsäten über die Vindi- 
kation (actio confessoris) den Beweis ebenso führen, als wenn Jemand die ganze Sache vindizirt. 
(4. A.) Daher braucht der Negatorienkläger zur Begründung seiner Klage nur sein Eigenthum oder 
auch nur seinen vollständigen Veste zu behaupten und zu beweisen, selbst dann, wenn der Beklagte 
im Rechtsbesitze der sich angemaßten Servitut possessorisch geschützt worden ist. Vgl. Erk. des Obertr. 
v. 5. Januar 1855 (Arch. f. Rechtsf. Bd. XVI. S. 112) und v. 27. November 1855 (Acch. f. Rechtef. 
Bd. XVIII, S. 326). — Eine Ausnahme macht der §. 183 in Beziehung auf solches Eigenhum, 
welches ursprünglich nur unvollkommen erworben worden ist. 
7) Es ist die Frage: ob diese Ausnahme nicht bloß von Rechten, welche die persönliche Frei- 
heit einschränken (Unterthänigkeit), handeie. Dann ist sie durch die §s. 11 und 12 des Ed. v. v. Ok- 
#ober 1807 unzweifelhaft ausgehoben. Aber auch, wenn man sle auf den bäuerlichen Grundbesitz und 
auf die grundherrlichen Rechte der Gutsherren gegen (frühere) Unterthanen bezieht, muß ein Guts- 
herr, der ein folches unvollkommenes Eigenthum des Hintersassen und ein darans fließendes einschrän- 
kendes Recht behauptet, doch den Besitz des behaupteten Rechis, der ausnahmsweise den Besitzer des
	        
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