Full text: Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten. Erster Theil, Erster Band. (1)

472 Erster Theil. Neunter Titel. 
  
keinem Falle und nach keinem positiven Rechte die magische Kraft, eine gewisse Erwerbungsart in eine 
wesentlich andere Erwerbungsart zu verwandeln; und wenn dies nicht behauptet werden kann, fo fehlt 
es der Beweisführung für die Kepründung des behaupteten Rechtssatzes an der juristischen Schlüssigkeit. 
Indeß findet sich in unferem d e allerdings eine, von dem Obertt. freilich nicht beachtete, Rechts- 
wahrheit: es treffen hier zwei Erwerbungsarten zusammen, die formlose mittelbare, und die ursprüng- 
liche der Jnädifikation; denn betreffs der letzteren ist die Einwilligung des bisherigen Eigemhümers, 
der einen Platz ansdrücklich zum Baue verkauft, in höherer Potenz vorhanden. Aber hierbei ist zu 
beachten, daß die zweite Erwerbungeart, die Inädifikation, in ihrer rechtlichen Wirksamkeit nicht weiter 
zu reichen vermag, als der Bau geht: nur die Baustelle kann durch die Jnädifikation rechtsgültig er- 
worben werden; dasjenige, was an Grund und Boden mehr durch den formlosen Kauf und die dar- 
auf gegründete Uebergabe] erworben worden ist, bleibt dem Schicksale der mündlichen Verträge unter- 
worsen, doch mit der Einschränkung, daß der Uebernehmer an der Aufrufung des Geschäfts durch sei- 
nen Bau verhindert ist, weil er nicht das Ganze in seinem früheren Zustande zurück ugeben vermag. 
Der in Rede stehende Rechtssall ist auch aus diesem Gesichtspunkee quantitativ unrichtig entschieden: 
die Baustellen waren unwiderruflich erworben, der Garten aber nicht.) 2. Der Bauende muß nicht 
unredlich handeln, d. h. er muß entweder in feinem Rechte, dort zu bauen, irren, oder er muß, ob- 
gleich er das Eigenthum eines Anderen kennt, einen vernünftigen Grund haben, anzunehmen, daß ihm 
der Eigenthümer die Baustelle überlassen werde. Wer in bösem Bewußtsein fremden Grund bebaut, 
kann dadurch nicht das Recht erwerben, den Eigenkhümer zu nöthigen, ihm die Baustelle abzutreten. 
— Umer diesen Vorausegzungen bewirkt die Wissenschaft des Eigenthümers von dem unternommenen 
Bauc, ohne Erforderniß der Anzeige seirens des Bauenden, und die Unterlassung des Widerspruches, 
daß der Bauende ihn zwingen kann, ihm die Baustelle käuflich zu Überlassen. In diesem Falle kom- 
men die Grundsätze vom nothwendigen Berkaufe zur Anwendung. Tit. 11, §F. 3 ff. Die formlose 
Einwilligung des Grundeigenthümers z. B. ist dazu völlig hinreichend, wenn darauf wirklich gebaut 
wird. (4. A.) Das Bewußtsein der Ungültigkeit des Vertrages als mittelbaren Erwerbungs 
titels macht die unmittelbare Erwerbung durch bewilligte Inädifikation nicht fehlerhaft. Vergl. 
Erk. des Obertr. v. 12. März 1858 (Emsch. Bd. XXXVIII, S. 63). Wenn aber der als mittel- 
darer Titel nicht gültige Vertrag gewisse Beschränkungen des Baues festsetzt, und der Bauende sich 
denselben nicht angelwirft. so ist auch die unmitteldare Erwerbung durch Inädißkation ungülni, 
weil in der Verabredung, wenngleich sie als Rechtstitel zur mittelbaren Erwerbung unkräftig ist, 
doch zugleich ein Widerspruch gegen eine gewisse Art des Baues ausgesprochen ist und diese Thatsache 
eben die unmittelbare Erwerbung durch Inädifikation hindert. Vergl. Erk. des Obertm. bom 
5. Febrnar 1858 (Entsch. Bd. XXXVIII, S. 70). 
(4. A.) In der, im Arch. f. Rechtsf. Bd. XXXVI. S. 80, mitgetheilten Entscheidung eines spä- 
teren Rechtsfalles, vom 12. Dez. 1859, hat das Obertr. seine, in den Entsch. Bd. XXX. S. 31 auf- 
gestellte Ausicht dahin, daß die mittelbare Erwerbung die Anwendung des F. 332 nicht unbedingt 
(jetzt alfo nur bedingt, die Bedingung ist nicht bezeichnet) ausschließe, beibehalten. Die Entscheidung 
ist insofern auffallend, als sie, abgesehen von der streitigen Anwendbarkeit des §. 332, durch die Frage 
nach der sog. Aktivlegitimation, d. h. nach dem angewendeten Klagerechte des Klägers hinfällig wird. 
Der Fall war dieser: Einer von drei Miteigenthümern hatte eine gemeinschaftliche Baustelle durch 
einen sormlosen Vertrag verkauft und übergeben. Hinterdrein verkauften alle Drei zusammen das 
Grundstück an einen Dritten. Dieser jüngere Käufer fordert das Grundstück nun dem älteren Känfer 
und Besitzer ab. Mit welchem Rechte? Das erfährt man nicht. Eigenthümer und Besitznachfolger 
der Verkäufer konnte er nicht geworden fsein, denn das Grundstück harte ihm nicht Übergeben werden 
können, weil es ja ein Dritter im Besitze hatte; die Vindikationsklage aus eigenem 25 stand ihm 
also nicht zu. Von einem Uebergange der Klagerechte der Verkäufer kommt auch nichts vor. Das 
Klagefundament ist daber räthselhaft. Es hätten die beiden beim ersten Verkaufe nicht beachteten Mit- 
eigenthümer die partielle Reivindikation gehabt. Diese ging aber durch den Kaufkontrakt auf den zwei- 
ten Käufer, den Kläger von selbst nicht über. 
Uebrigens hat man sich in seiner Theorie Über die Anwendbarkeit des §. 332 so verrannt, daß 
man es nicht merkt, den Rechtsboden ganz verloren zu haben. Die Jnädifikation ist bekanntlich nichts 
anderes, als ein Fall der Adjunktion, d. h. der Verbindung oder Zufammensügung zweier Sachen. 
Bei der Inädifikanon werden bewegliche Sachen mit einer unbeweglichen Sache verbunden, wie Jeder- 
mann weiß. Durch das Bebauen eines Grundstücks wird der freie Platz (die aren) in ein Gehöfte 
(insula) verwandelt. Ist das Eigenthum des Bodens und das der verbauten Sachen in den Händen 
verschiedener Personen, so nimmt das Bauen einen juristischen Charakter an und tritt als Erwerbungs- 
art in Betreff des neuen Ganzen, des Gebäudes oder Gehöftes, auf. Nun ist die Frage keine andere 
als die: Soll der fremde Eigenthümer der Scholle, auf welcher das Bauwerk errichtet ist, oder der 
Eigenthümer der verbauten beweglichen Sachen (oder vielleicht gar der dritte Bauende) Eigenthämer 
des Ganzen sein? Soll es der Eigemhümer der Materialien oder der dritte Bauende sein, so ist er 
durch das Bebauen auch Eigenthümer der Stelle (aren) geworden. Damit ist klar, daß durch die 
Inädifikation unmöglich mehr an Grund und Boden erworben werden kann, ale die Gebäulichkeiten 
bedecken. Von diesem Axiom ist man bei der Eingenommenheit für jene Theoric ganz abgekommen;
	        
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