64 Einleitung.
6. Verfassüngsurkunde vom 31. Jauuar 1850.
Art. 9. Das Eigenthum ist unverletzlich. Es kann nur aus Gründen des öffentlichen Wohls
i) §. 4 des G. v. 11. Mai 1842 (G. S. S. 193), betr. Eingriffe der Polizei in Privatrechte, wel-
cher lautet: „Steht einer polizeilichen Verfügung ein besonderes Recht aus Befreiung (§. 2) nicht
entgegen, es wird aber behauptet, daß dinch dieselbe ein solcher Eingriff in Privatrechte geschehen
sei, für welchen, nach den gesetzlichen Vorschriften über Aufopferungen der Rechte und Vortheile des
Einzelnen im Interesse des Allgemeinen, Entschädigung gewährt werden muß, so findet der Rechts-
weg darüber Statt: ob ein Eingriff dieser Art vorhanden sei, und zu welchem Betrage dafür Ent-
schädigung geleistet werden müsse. — Eine Wiederherstellung des früheren Zustandes kaun in diesem
Falle niemals verlangt werden, wenn solche nach dem Ermessen der Polizeibehorde unzulässig ist.“
In Beziehung auf diesen Fall ist behauptet worden, die Eutschädigungsklage finde erst dann statt,
nachdem der Beschwerdeweg gegen die polizeiliche Versügung betreten und durch alle Instanzen ersolglos
verfolgt worden sei. Dies erklärt das Obertr., mit Recht, für unrichtig. Zwar sei der Beschwerde-
weg gegen polizeiliche Versügungen der vorliegenden Art ebenso, wie gegen polizeiliche Versügungen
überhaupt, zulässig, daß aber die nach §. 4 . gewährende Entschädigung davon abhängig warc, daß
gegen die polizeiliche Verfügung zunächst der Beschwerdeweg eingeschiagen worden, sei im Gesetze nicht
ausgesprochen, der rechtliche Grund der Entschädigung liege auch in dergleichen Fäl-
len gar nicht darin, daß die polizeiliche Verfügung gesetzwidrig oder unzulässig
wäre, sondern darin, daß durch dieselbe ein Eingeßt in Vrivatrechte gescheben,
für welche nach den gesetzlichen Vorschriften über Aufopferung der Rechte und
Vortheile des Einzelnen im Interesse des Allgemeinen Entschädigung gewährt
werden müsse. Erk. vom 5. Juli 1866 (Arch. f. Rechtsf. Bd. LXIV, S. 185).
III. Ueber die Frage der Zweckmäßigkeit und Nothwendigkeit des Eingriffs in die Privatrechte ist,
mit Ausnahme des anomal behandelten Hales wegen Einräumung einer nothwendigen Wegegerechtig-
keit (II, lit, e), der Rechtsweg unstatthaft; wohl aber ist er im petiorischen Prozesse (vgl. Anm. 84 zu
S. 146, Tit. 7 u. Anm. 20 zu F. 30, Tit. 8) nicht allein über den Betrag der Vergütigung, sondern
auch darüber offen: ob ein zur Entschädigung geeigneter Eingriff vorhanden sei, d. h. ob die bloße
Auslbung eines Privatrechts vorliege, oder eine vom Staate ausgehende Expropriation vermöge des
ihm zustehenden Hoheitsrechts stattfinde. Gesetz über die Zulässigkeit des Rechtsweges in Beziehung
auf polizeiliche Verfügungen v. 11. Mai 1847, S. 4 (G. S. S. 193); A. L. R. Einl. §. 71 und I. 11,
68. 10, 11; Reg.-Instr. v. 26. Dez. 1808, §. 37 (G. S. 1817, S. 283), und Bericht des Staats-
ministeriums vom 16. November 1831 (G. S. S. 256); Entsch. des Obertr. Bd. XX, S. 8, 9.
(4. A. Die Frage z. B.: ob der von der Verwaltungsbehörde für einen öffentlichen Weg erklärte Weg
bisher als Privatweg im ausschließlichen Eigenthume des Grundtesitzers gewesen, und welche Entscha-
digung deshalb demselben für die Enteignung diescs Weges zu leisten sei? ist dem Rechtswege nicht ent-
ogen. §. 11 des G. vom 11. Mai 1842; Erk. des Obertr. vom 9. Dez. 1856, Arch. f. Rechtsf.
d. XXIII, S. 137.) — Darüber: ob in einem bestimmten Falle die verordnete Expropriation mit
den allgemeinen Grundsätzen übereinstimme, z. B. ob die Expropriation auch im Falle eines Kommu-
nal--Wegebaues, weiche durch eine K. O. vom 4. August 1843 in einem einzelnen Falle den betr. Ge-
meinden bewilligt worden war (B. M. Bl. 1843, S. 319), allgemein zulässig sei, ist ein Meinungs-
streit, etwa auf Grund des §. 6 der Einl., unmöglich, da es keine Rechtssache ist. Das Hoheitsrecht
der Expropriation Übt das Staatsoberhaupt entweder selbst oder durch damit beauftragte Staatsbeamte
aus (1, 11, FS. 10). .
IV. Ueber die rechtliche Natur des Verhältnisses zwischen dem Privateigenthllmer und dem Staate
oder dem durch ihn mit dem Expropriationsrechte Beliehenen ist das größere juristische Publikum sehr
im Unklaren. Ist es doch vorgekommen, daß man in zwei Instanzen den Eigenthümer mit seinem An-
spruche auf Vergeltung seines Eigenthums auf Grund der 3jährigen Verjährung eines Cutschädigungs-
anspruchs aus unerlaubten Handlungen (1, 6, §. 54) abgewiesen hat. Simon's Rechtsspr., 1, 75
uK. 78 ff. Die Erwerbung in Folge des Expropriationsrechts ist eine mittelbare, welche die Besizüber-
tragung auf Grund eines Titels voraussetzt. (1, 97, S. 6, u. 1, 10, §. 1.) Der Gang der Sache i
der: r Eigeuthümer muß selbstverständlich ausgesordert werden, die Sache gegen Vergeltung (käuf-
lich) zu übertragen. Versteht er sich dazu ohne Zwang, d. h. erklärt er, daß er die Sache gegen einen
Geldpreis überlasse, so ist ein Kanfkontrakt vorhanden. Der Charakter der Handlung ändert sich da-
durch nicht, daß der Preis nicht unmittelbar durch die Kontraheuten verrinbart wird; denn in diesem
Falle wird, zufolge eines Naturale dieses nothwendigen Verkaufs, der Preis durch Dritte, nämlich
durch Taxatoren bestimmt. 1, 9, S§. 8 verb. mit S§. 47, 48. Das Gesetz nennt auch, selbst in die-
sem Falle, das Geschäft einen nothwendigen Verkauf. §. 8 a. a. O. Daraus folgt, daß die Klage
wegen des rückständig bleibenden Preises nur der ordentlichen Vejührung unterliegt. Dekl. v. 31. März
1838, Nr. 1 (G. S. S. 252). Es solgt serner, daß, wenn Mehrere gemeinschaftlich auf diese Weise
erwerben, z. B. mehrere Bergbauunternehiner, dieselben solidarisch haften. I, 5, §. 424. Eine mir
in der Praxis vorgekommene Meinung will dies nicht gelten lassen, weil der Anspruch ex lege ent-
springe; denn wenn keine Vereinigung über die Verglltung staufinde, so sei eben kein Vertrag vorhan-