Full text: Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten. Erster Theil, Erster Band. (1)

734 Erster Theil. Eilfter Titel. 
8. 612. Eine Leibrente kann Jemand für sich selbst oder für einen Dritten kaufen. 
§. 613. Geschieht Letzteres, so hat es, wegen des dem Dritten daraus entste- 
henden Rechts, bei der Vorschrift des Titels von Verträgen überhaupt sein Bewenden. 
(Tit. 5. S. 74 8agq.) . 
s. 614. Der Käufer der Leibrente kann sich die Bezahlung derselben auf seine 
eigene Lebenszeit, oder auf das Leben eines Dritten, oder auch des Verkäufers selbst. 
vorbedingen. 
§. 615. Haben Mehrere gemeinschaftlich eine Leibrente gekauft, so wird, wenn 
nicht ein Anderes verabredet worden 158), angenommen, daß jeder Käufer nur seinen 
Antheil nach Zahl der Köpfe zu fordern habe. 
§5. 616. Mit dem Abgange eines jeden derselben erlöscht also sein Antheil zu 
Gunsten bes Verkäufers. 
§. 617. Wenn aber die Leibrente auf die Lebenszeit mehrerer Personen, außer 
dem Käufer und Verkäufer, oder auch auf die Lebenszeit mebrerer Verkäufer vorbedun- 
gen worden, so muß die ganze "5) Leibrente so lange gezahlt werden, als noch einer 
derselben am Leben ist. 
§. 618. Geht der Vertrag dahin, daß die Leibrente erst nach dem Ableben meh- 
rerer Personen entrichtet werden solle, so müssen, im Mangel besonderer Verabredun- 
gen, alle benannte Personen gestorben sein, ehe die Leibrente gesordert werden kann. 
8. 619. Hat der Käufer der Leibrente die Dauer derselben auf seine eigene Le- 
benszeit bestimmt, so erlöscht dieselbe mit seinem Tode, dieser mag natürlicher oder ge- 
waltsamer Weise erfolgt sein. 
§. 620. Ein Gleiches findet statt, wenn die Lebenszeit eines Dritten zum Maß- 
stabe von der Dauer der Leibrente bestimmt ist. 
452) . A.) Damit sind die Tontinen für erlaubte Geschäfte erklärt; der dagegen erhobeue Zwei- 
sel ist ohne Boden. M. s. Recht der Forderungen (2. A.), 8. 338, Nr. 2, Anm. 48. 
46) In dem hierbei vorausgesetzten Falle, habe ich in der 1., 2. und 3. A. gesagt, ist es ein 
Raturale des Geschäfts, daß, wenn mehrere Käufer vorhanden sind, die Antheile der vor dem Er- 
löschen der Leibrente Abgehenden den oder dem Uebrigbleibenden zuwachsen (Tontine). Diese Auffas- 
sung ist nicht richtig. Der §. 617 ist kein eigentlicher Gegensatz zu den §8. 615, 616, sondern eine 
weitere Ausführung der letzteren. Diese §#§. 615, 616 setzen schlechthin die Getheiltheit der Leibrente 
sest, wenn Mehrere gemeinschaftlich eine solche kaufen. Daneben entsteht die Frage: ob die Rente, 
abgesehen davon, ob Einer oder Mehrere sie gekauft haben, auch dann, wenn sie auf den Kopf meh- 
rerer Verkäufer oder mehrerer Dritter gestellt worden ist, nach den Köpfen dieser Personen gerheilt 
sein solle; so daß also eine doppelte Getheiltheit, eine aktive und eine passive, anzunehmen sei. Diese 
Frage entscheidet der H. 617 verneinend, so daß die Rente bis zum Tode des Lettsterbenden von 
idnen ganz fortzuzahlen ist. Daß die Rente, welche Mehrere gekauft haben, unter ihnen in dem Falle 
des §. 617 nicht getheilt sein solle, bestimmt dieser Paragraph nicht. Aber es ist der Antheil des 
Verstorbenen an dessen Erben zu zahlen, bie die ganze Rente durch den Tod sämmtlicher Personen, 
auf deren Kopf sie gestellt worden, erloschen ist. Degegen ist hier einem anderen Mißverständnisse 
entgegenzutreten. Man hat diese Bestimmung so verstanden, als wenn der in Nede slehende Fall 
der einzig erlaubte sei, wo eine Leibrente von Mehreren in der Weise ausbedungen werden dürfe, daß 
die ganze Leibrente so lange zu zahlen sei, als noch einer derselben am Leben; und daß für mehrere 
Käuser die Leibreme, wenn solche auf die Lebenszeit der Käufer gestellt werde, nur nach SS. 615 
und 616 bedungen werden könne. Der Grund davon soll sehr nahe darin liegen, daß die für meh- 
rere Käufer in der Weise bedungene Leibrente, daß sie bis zu dem Ableben des Letzten von ihnen 
ganz zu entrichten wäre, aufhöre, eine Leibrente zu sein (Ges-Keol. Pens XIV, S. 108). Diese 
lediglich aus der Fassung des §. 817 geschöpfte Auslegung hat jedoch den Wortlaut des §. 615 gegen 
sich und gar keinen sachlichen Grund für sich; denn auch der angegebene Grum wird durch das Da- 
sein der Tontinen thatsächlich widerlegt. Der §. 614 erwähm der drei bekannten Möglichkeiten, die 
Dauer einer Leibrente zu bestimmen, nämlich auf das Leben des Käufers, oder des Verkäufers, oder 
eines Dritten. In allen diesen Fällen können der gedachten Personen auch Mehrere sein. Die §. 615 
und 616 betreffen nun den ersten Fall, wenn Mehrere eine Leidrente kaufen und die Dauer derselben 
auf ihre eigene Lebenszeit ausbedingen. Dabei gilt die Regel, daß die Leibrente nach der Kopfzahl 
gerheilt ist und der Antheil eines Jeden mit dessen Tode rellscht aber nur dann, „we un nicht ein 
Anderes verabredet worden“. C# ist minhin ganz auedrücklich erlaubt, das gerade Gegen- 
tdeil zu verabreden; nirgend findet sich die Andentung eines Berbots.
	        
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