Full text: Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten. Erster Theil, Erster Band. (1)

Von Personen umd deren Rechten überhaupt. 77 
8. 8. Andere 1) kommen ihnen nur in soferm zu, als mehrere derselben zusam- 
men, eine besondere Gesellschaft .) ausmachen. 
§. 9. Die Rechte und Pflichten der verschiedenen Gesellschaften im Staate wer- 
der durch ihr Verhältniß unter sich, und gegen das Oberhaupt des Staates näher be- 
immt. 
5. 10. Die allgemeinen Rechte der Menschheit 12) gebühren auch den noch unge- ueere 
bornen Kindern, schon von der Zeit ihrer Empfängniß. 
5. 11. Wer für schon geborene Kinder zu sorgen schuldig ist, der hat gleiche 
Pflichten in Ansehung der noch im Mutterleibe befindlichen 5). 
§. 12. Bürgerliche Rechte, welche einem noch ungeborenen Kinde zukommen 
würden, wenn es zur Zeit der Empfängniß schon wirklich geboren wäre, bleiben dem- 
selben auf den Fall, daß es lebendig zur Welt kommt, vorbehalten "). 
  
snde. sowie die den Berufsständen eigenthümlichen Institute und Rechtsnormen hat der Grund- 
atz der Gleichheit vor dem Rechte, wie auch der Wortlaut ergiebt, gar keine Beziehung. 
11) Andere Rechte, als welche Jedem nach seinem Stande zustehen, können nur in Gesellschaften, 
welche für Eine Person (juristische Person) gelten, erlangt werden. Die Bürger einer Stadt z. B. 
können, nach dem Sinne dieser Bestimmung, nicht adelige Rechte erwerben oder auslben, aber als Ge- 
sammtheit, als Korporation, können sie wohl Rinergüter und dergleichen erwerben und besitzen. Nach 
beutigem Rechte hat die Bestimmung ihre Bedeutung verloren. Ueber die Bedingnisse einer juristischen 
Person s. m. Th. II, Tit. 6. 
12) Das sog. Publikum ist unter leinen Umständen und in keiner Beziehung eine solche beson- 
dere Gesellschaft im rechtlichen Sinne; niemals kann das Publikum unmittelbar oder durch Bertreter 
etwas erwerben, besitzen oder klagend versolgen; denn es ist unorganisch, bloße Bezeichnung für eine 
an einem öffentlichen Orte versammelte Menschenmenge, wie z. B. das Publikum eines Seiltänzers, 
oder, in weiterer Bedeutung, für einen unbestimmten Theil des Volkes in gewisser Beziehung, z. B. 
Lesepublikum, Handelspublikum, juristisches Publikum u. s. w., oder, in noch weiterer Bedeutung, kür 
alle, in einem Orte oder Lande gleichzeitig lebenden Menschen, z. B. „Publikum überhaupt“ in II, 20, 
5§. 1495, 1395. Daß die Erinnerung daran nicht überflüssig, beweist der in Simon's Rechtssprü- 
chen, Bd. IV, S. 288 mitgetheilte Rechksfall, wo das Publikum einen Durchgang durch ein Privatgrund- 
stück mittelst Verjährung erworben haben sollte und von der Polizei als Vormund klagend vertreten wurde. 
(4. A.) M. s. auch das Erk. des Obertr. vom 12. Jan. 1852 (Arch. für Rechtsf. Bd. IV, S. 244). 
13) Was unter den allgemeinen Rechten der Menschdeit gemeimt ist, erfährt man aus 
der damals herrschenden Ansicht über die eigene Person, als Gegenstand eines besonderen Rechtsver- 
hältnisses. Darnach hat der Mensch ein besonderes Recht auf seine Person, welches mut seiner Geburt 
nochwendig entsteht und bis zu seinem Tode fortdauert. Dieses Recht heißt dader Urrecht, allgemeines 
Menschenrecht, im Gegensatze zu den, nach bürgerlichem Rechte erworbenen Rechten, und soll ebenso 
ungestört bleiben, wie diese erworbenen Rechte. Donellus, Comment. I1, 8, 558. 2, 3 nennt vier 
Gegenstände dieses Rechtes eines Jeden auf sich selbst: vita, incolumitas corporis, lbertas, existimatio. 
Unser §F. 10 bezieht sich auf diese Urrechte, und der folgende §. 12 auf die erworbenen (bürgerlichen) 
Rechte. Die dem Embryo zugeschriebenen Menschheitsrechte auf sich selbst müssen ungekränkt bleiben, 
und verbleiben auch dem ohne menschliche Gestalt geborenen, nicht rechtsfähig gewordenen Wesen (Miß- 
geburt). 5. 18. 
13°) (4. A.) Die Bestimmung des 5. 11 bexzieht sich lediglich auf den Hauptverpflichteten; fie hat 
lediglich solche Pflichten, welche während des Befindens des Kindes im Mutterleibe zu erfüllen sind, 
nicht aber die erst nach der Geburt eines lebenssähigen Kindes zur Sprache kommenden Pflichten (z. B. 
de G zum Gegenstande. Erk. des Obertr. dom 18. Juni 1852 (Archiv f. Rechtsf. 
d. VI, S. 182). ' 
14) Dieser §. hat drei wichtige Bestimmungen: Erstens bestimmt er im Gegensatze zu §. 10, daß 
ein Ungeborener keine dürgerlichen Rechte habe, d. h. nicht rechtsfähig sei; zweitens ist die Bedingung 
der anfangenden Rechtssähigkeit festgesetyzt; drittens ist von Lerossfen Rechten die Rede, welche ihm bis 
zum Einrritte dieser Bedingung vordehalten bleiben sollen. uerste Grundsatz ist ohne Schwierigkeit; 
er bezieht sich nicht bloß auf diejenigen Rechte, welche erst im Leben erworden werden konnen, sondern 
umfaßt anch solche, welche ipso jare mit der Geburt anfangen, wie die Familien= und Standeerechte. 
Vergl. Einl. s. 82. Die zweite Bestimmung entscheidet eine Kontroverse nach der richtigen Meinung. 
Vielen Rechtslehrern genügte zur natürlichen Rechtsfahigkeit nicht die Geburt eines lebenden Kindes, son- 
dern sie forderten auch die Lebensfähigkeit (Vitalität) des Kindes, d. h. fie sprachen einem ledendig 
geborenen Kinde die Rechtsfähigkeit ab, wenn es bald noch der Geburt sterbe, und die Todesursache in 
der Unreisheit desselben, wodurch ihm die Forrsetzung des Lebens außer dem Muteerleibe unmöglich
	        
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