Full text: Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten. Erster Theil, Erster Band. (1)

Der 
Zwitter. 
Unterschied 
der 
Geschlechter. 
Unterschied 
des Alters. 
80 Erster Theil. Erster Titel. 
und bürgerliche 18) Rechte keinen Anspruch. 
§. 18. In sofern aber dergleichen Mißgeburten leben, müssen sie, nach 8. 11, 
ermährt, und so viel als möglich, erhalten werden. 
§. 19. Wenn Zwitter geboren werden, so bestimmen die Eltem, zu welchem 
Geschlechte sie erzogen werden sollen. 
§. 20. Jedoch steht einem solchen Menschen, nach zurückgelegtem achtzehnten 
Jahre, die Wahl frei, zu welchem Geschlechte er sich halten wolle. 
§. 21. Nach dieser Wahl werden seine Rechte künftig beurtheilt 19). 
§. 22. Sind aber Rechte eines Dritten von dem Geschlechte des vemmeintlichen 
Zwitters abhängig, so kann ersterer auf Untersuchung durch Sachverständige antragen. 
§. 23. Der Befund der Sachverständigen entscheidet, auch gegen die Wahl 25) 
des Zwitters und seiner Eltem. 
§. 24. Die Rechte beider Geschlechter sind einander gleich, soweit nicht durch be- 
sondere Gesetze : 1) oder rechtsgültige Willenserklärungen, Ausnahmen bestimmt worden. 
§. 25. Wenn von den Rechten der Menschen, in Echiehung auf ihr Alter, die 
Rede ist, so heißen Kinder diesenigen, welche das siebente, und Unmündige, welche 
das vierzehnte :2) Jahr noch nicht zurückgelegt haben. 
§. 26. Die Minderjährigkeit dauert, chne Unterschied des Ortes der Herkunft 
und des Standes ), bis das vier und zwangigste Jahr zurückgelegt ist ). 
Schafskopse geboren werden (die ganze Geschichte solcher Thiergestalten gehört in das Reich der Mär- 
chen) und würde geboren: so müßte dieses Wesen wegen des vorhergesehenen Mangels an menschlichem 
Geiste rechtsunfähig sein. Nun könnte es aber doch nicht unmöglich sein, daß dieses Wesen sich mit 
der Zeit zu einem tiefsinnigen Philosophen entwickelte. Sollie denn dieser rechtlos bleiben? Wo nicht, 
von wo sollte die Rechtssähigkeit anfangen? Die ganze Lehre hat keinen Boden. Die Aerzie wollen 
davon auch nichts wissen; sie haben andere Merkmale von Mißgeburt. (Mende, Haudduch der ge- 
richtl. Medicin, Th. 111, S. 237 u. 322 ff.) Da nun das Gesetz weislich nicht über die Kennzeichen 
einer Mißgeburt bestimmt, so muß in jedem Falle das Urtheil der Phyfiologen (Aerzte) darüber ent- 
scheiden; niemals aber kann eventuell auf das N. R. zurüczgegangen werden, schon darum, weil es die 
5 1 der Menschengestalt nicht bestimmt, aus dem vernünftigen Grunde, weil dies nichts Ju- 
ristisches ie 
18) Also nur bürgerlich rechtsunfähig bleiben sie; die „allgemeinen Rechte der Menschheit“ des 
. 10 verbleiben ihnen, wie der folgende 8. 18 noch besonders ausspricht. 
19) Deshalb ist die Wahl ein wichtiger Akt, wofür es billig eine Form geben sollte, durch welche 
dieselbe außer Zweifel gestellt würde. Wenn ein an seinen Geschlechtstheilen mißgestalteter Mensch bis 
heute Mannskleidung getragen hat und mit anderen Mannspersonen zugleich einen Schuldschein aus- 
stellt, morgen aber Weiberkleider anlegt und sich für eine Franensperson erklärt, muß da diese Wahl 
auf die von ihr als Mann unterschriebene Schuldverschreibung wirken? Keinesweges. In diesem Falle 
kommt der folgende §. 22 zur Anwendung. Die L. 10 D. de statu hom. (1, 5) will in allen Fallen 
nur auf den Befund gesehen wissen. Die eigene Wahl, unbeschadet der Rechte Dritter, ist dem L. R. 
eigenthümlich. Die Aerzte behaupten, daß es eine wahre Zwinerbildung nach Theorie und Erfahrung 
nicht gebe. Mende, Handduch der gerichtlichen Mediein, Th. 111I, S. 380 ff. 
20) Die einmal getroffene Wahl bleibt unabänderlich; denn der §. 21 verordnet, daß danach die 
eigenen Rechte, soweit nicht Dritte dabei interessiren und widersprechen, für alle Zukunft beurtheilt wer- 
den. Diese Absicht bhatten auch die Redaktoren bei der Absassung dieser Bestimmungen. Mat. Bd. 72, 
Fol. 1 V und Bd. 80, Abschr. Bd. 1, Fol. 88 V. 
21) Nur besondere Gesetze können eine Verschiedenheit der Rechte nach dem Geschlechte begründen, 
der bloße Gebrauch des Maskulinum in einem Gesetze schließt dessen Anwendbarkeit auf das andere 
Geschlecht nicht aus. „Verbum hoc;: si quis, tam masculos qum feminas complectitur,“ und „pro- 
nunciatio sermonis in sexu masculino ad utrumgue sexum plerumaue porrigitur."“ L. 1, 195 pr. 
D. de verb. sig. (L. 16). Die vielsachen Verschiedenheiten der männlichen und weiblichen Rechte, 
welche als Ausnahmen vorkommen, lassen sich nicht auf ein einziges allgemeines Prinzip zurückführen, 
"éCu0 o- auf verschiedenen Gründen, niemals ader auf Mißachtung oder Zurücksetzung des weiblichen 
lechts. 
22) Die mit dem zurückgelegten vierzehnten Jahre eingetretene Mündigkeit ist eine eigenthümliche, 
beschränkte Geschäftsmündigkeit, z. B. Testamentsmündigkeit, Eidesmündigkeit u. dergl., wodurch der 
Minderjährige zu gewissen Geschäften fähig wird. 
23) Dies ist die richtige Lesart. R. v. 29. Dez. 1837 (Jahrb. Bd. L, S. 469). Die gewöhn- 
 
	        
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