112. Die gespenstische Fahrt zu Osseg.
(Grohmann, Sagen aus Böhmen, 1863, S. 104.)
Ein Abt des Klosters Osseg war der im Munde des Volkes noch
fortlebende Hieronymus Bösneker. Unter den vielen Gerüchten, die
von ihm verbreitet sind, ist folgendes das erheblichste. In einer Nacht,
als der Nachtwächter der Abtei die Klosterhöfe durchwandelte, klopfte
es an den Thoren und herein kam der erst verstorbene Abt Hierony—
mus. Da sich diese Erscheinung wiederholte, meldete er es am ge—
hörigen Orte, wo man ihm seine Furcht zu benehmen suchte und zu—
gleich dem Nachtwächter die Weisung gab, sollte ihm dies Gesicht noch
einmal erscheinen, so möchte er sogleich zu dem Nachfolger im Vor—
steheramte eilen. Beruhigt betrat der Hüter wieder seinen Posten.
Um Mitternacht pochte es abermals am Thore gegen Herrlich. Das
Thor öffnete sich und herein zogen vier schwarze Rosse schnaubend eine
Kalesche, worin sich der Verstorbene befand. Auf das Rufen des
Nachtwächters kam der damalige fromme und gottesfürchtige Prälat
Cajetan im Ornate, ganz wie er beim Altare erscheint, herbei. Der
Mann trat ab und es entspann sich zwischen dem furchtbaren Gaste
und ihm ein Gespräch in lateinischer Sprache. Alsbald führte der
fromme Cajetan seine Begleiter durch die Thür im Sommersalon, der
schon vorbereitet war, hinaus in den Garten, und man sah durch die
Lindenallee nach Herrlich wieder die greuliche Gestalt dahinfahren.
Diese Allee wurde von dem Wiedererschienenen angelegt. Bald nach-
her entstand ein heftiges Gewitter, der Blitz schlug in eine Linde die-
ser Allee und die Krone kam in die Erde, die Wurzel aber oben zu
stehen und seit dieser Zeit war nichts mehr zu sehen und zu hören.
Der Enkel jenes Nachtwächters Weoitzendörfer ist ein Mann von 70
Jahren und lebt als Lehrer in Rathschitz.
In Zittau jagt ein gespenstischer Ratsherr des Nachts um 12 Uhr in einem
schwarzen, von dergleichen Rossen gezogenen Wagen durch die Straßen der Stadt.
Ahnliches erzählt man von Görlitz, Köln, Bremen und a. O. (Haupt, Sagenbuch
d. L. No. 154 und 155.) Der gespenstische Baron Hußmann von Tachau fährt in
einem feurigen Wagen, der von vier schwarzen Pferden gezogen wird. (Grohmann
a. a. O. S. 101.) Der Wagen ist der Höllenwagen oder die Höllenkutsche. Die
Todesgöttin Hel führte die Seelen der Verstorbenen auf einem schwarzen Wagen,
der ein Gegenbild vom Wagen Wuotans ist, in die Unterwelt.
Wie in unserer Sage der Geist eines Verstorbenen in einem Wagen wieder
auf der Erde erschien, so läßt der Volksglaube in manchen Gegenden die Toten auch
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