Full text: Sagenbuch des Erzgebirges.

  
walde ins dürre Fichtengras, das andere Mal sahe das Gespenst seinem 
verstorbenen Vater ähnlich, bald mit, bald ohne Kopf, und es trug 
ihn in der Höhe über drei Äcker weg und warf ihn dann in einen 
Morast, so daß der Knabe krank wurde und nicht mehr hüten wollte. 
  
190. Der Getreideschneider. 
(Spieß, Aberglaube, Sitten 2c. des sächs. Obererzgebirges. Programm- 
arbeit. Dresden 1862, S. 14; z. T. mündlich.) 
Am Johannesabende in der sechsten Stunde kommt der sogenannte 
Getreideschneider, der über die Ecke eines Stückes Getreide durchschneidet, 
von welchem er dann, wenn der Bauer drischt, den vollen Nutzen hat. 
Um diesem vorzubeugen, nimmt der Bauer Liebstöckelöl (Ol aus 
Levisticum ofticinale) und macht, nachdem er den Finger in das 
Ol getaucht, ebenfalls in der sechsten Abendstunde des Johannestages, 
drei Kreuze an jede Ecke des Feldes auf die Erde. Ist aber der Ge- 
treideschneider bereits dagewesen, so hängt der Bauer, bevor er das 
Getreide einfährt, ein Büschel Reisigspitzen (frischgrünende Tannen- 
zweige) über dem Scheunenthor auf, drischt sobald als möglich und 
macht dabei mit dem Reisigbüschel den Anfang. Dann ist der Bann 
gelöst und der Getreideschneider zieht keinen Nutzen. 
In Thierfeld geht die Sage, daß in der Mittagsstunde des Wal- 
purgistages die Vogelbeerbäume und Feldfrüchte von dem Getreide- 
schneider beschnitten würden, ohne daß man ihn sieht. 
  
Auch in Thüringen hat man ein ähnliches Mittel, um den Getreideschneider, 
den man daselbst, sowie im Vogtlande, Bilmschnitter nennt, zu erkennen. Man be- 
legt die Tenne mit sieben Reisigbündeln und bearbeitet dieselben mit dem Dresch- 
flegel; die Person nun, welche während dieses Dreschens an das Schennenthor tritt, 
wird für den Bilmschnitter gehalten. (B. Sigismund in „Aus der Heimat“, 1862, 
No. 13.) — In Süddeutschland heißt der Bilmschnitter „Bilwitzschneider", und 
dieser Name erinnert an den flavischen Pilwitz oder Plon, den Gott des Reichtums 
und zugleich des Todes. Auch die „Pilweisen“ der schlesischen und Lausitzer Sagen 
sind Kobolde oder von Kobolden besessene Menschen, die andern Schaden zufügen. 
In einer Sage von den Pilweisen zu Lauban tritt ein schwarzer Bock auf; da der- 
selbe auf den Teufel hinweist, so verbindet sich mit den weiblichen Pilweisen (und mit 
dem Bilmschnitter 9) der Begriff der Hexen. — Da die Sagen von gespenstischen Tieren 
im Kornfelde mit denen vom Bilmschnitter in einer gewissen Verbindung stehen, so er- 
klären sich dadurch vielleicht auch die im Erzgebirge vorkommenden Bezeichnungen 
„Stoppelhahn“ (jetzt allerdings nur in der Bedentung eines Festes am letzten Ernte- 
tage gebraucht) und „Panzelhahn“. Der letztere Ausdruck erinnert an die oben an- 
geführte Sitte des Reisigbüscheldreschens; denn wenn beim Dreschen des Getreides 
der letzte Schlag fällt, so ruft man demjenigen, welcher diesen Schlag gethan hat, 
zu: „Du hast den Panzelhahn geschlagen!“ 
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