Full text: Sagenbuch des Erzgebirges.

  
sammengefügtes Kreuz, das wie eine schützende Wacht herabblickt * 
das stille, freundliche Thal. In der Umgebung des Heinrichsteines 
wachsen viele große und schmackhafte Heidelbeeren, was auch in früherer, 
längst vergangener Zeit der Fall gewesen ist. 
Einst kamen an einem herrlichen Sommertage in die Nähe dieses 
Felsens zwei junge Mädchen aus Platten, um dort Beeren zu klauben. 
Unter heiteren Gesprächen wurden sie des Pflückens gar nicht müde, 
bis sie ihre Körbchen gehäuft voll hatten. Nun machten sie sich beide 
auf den Heimweg und verwunderten sich sehr, als sie am Fuße des 
Berges eine offene Thür erblickten, welche in einen weiten Gang 
führte. Die Mädchen gingen beherzt hinein und fanden daselbst eine 
eiserne Truhe, an der ein großer, altertümlicher Schlüssel steckte. Voll 
Hast öffneten sie mittelst desselben die Lade und sahen, daß diese mit 
Gold und Silber gefüllt war. Schier geblendet von den gleißenden 
Schätzen, schauten die Mädchen mit verblüfftem Antlitze eins das andere 
an und wußten gar nicht, was sie mit dem edlen Metalle anfangen 
sollten. Einfältig, wie sie waren, verschlossen sie, ohne etwas von 
den Schätzen anzurühren, die Truhe, nahmen den Schlüssel zu sich und 
liefen über Stock und Stein nach Hause, um ihren Eltern von dem 
reichen Funde Mitteilung zu machen. Außer sich vor Freude, eilten 
darauf die Väter der Mädchen zum Heinrichstein, aber der Eingang 
in den Felsen war nirgends mehr zu finden; auch die Mädchen suchten 
ihn vergebens, so sehr sie ihre Augen anstrengten. Noch lange soll 
der Schlüssel zur Schatztruhe auf dem Rathause in Platten aufbewahrt 
worden sein, doch ist er allda gegenwärtig nicht mehr vorhanden. 
Vor vielen, vielen Jahren ging am Karfreitag ein armes Weib, 
ihr Kindlein auf dem Arme tragend, in den Wald am Heinrichstein, 
um Reiser zu sammeln.. Uber ihre mißlichen Verhältnisse nachdenkend, 
weinte sie bitterlich und meinte, ein Teil der im Felsen verborgenen 
Schätze genügte, mit einem Schlage ihrer Armut ein Ende zu machen. 
Da bemerkte sie auf einem Felsblocke des Heinrichsteines allerlei bunte 
Blumen. Sie schritt mit ihrem Kinde darauf zu, um für dieses einige 
Blümlein zum Spielen zu pflücken. Während das Weib sich dieser 
Beschäftigung hingab, gelangte sie plötzlich zu einer in den Felsen füh- 
renden Pforte, die sie früher niemals gesehen hatte. Höchlich überrascht, 
nahm sie ihr Kind, das sie auf einem grünen Platze niedergesetzt hatte, 
auf den Arm und trat näher zur offenen Thüre, deren Schwelle sie 
ohne Bedenken überschritt. In dem Felsengewölbe standen Säcke, die 
mit Gold= und Silbererzen bis oben angefüllt waren, und ein Tisch. 
Auf letzteren setzte das nun sich glücklich fühlende Weib das Kind und 
begann von den funkelnden Schätzen gierig in ihre Schürze zu raffen. 
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