Full text: Sagenbuch des Erzgebirges.

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Nähe des Braunsteins sein Vieh. Da sah er plötzlich, als er den Berg 
hinanstieg, eine offene Thür, die er sonst nie bemerkt hatte. Unwill- 
kürlich trieb ihn eine innere Stimme an, in das Gewölbe hineinzu- 
gehen. Daselbst erblickte er eine Kiste mit großen Schätzen. Davon 
nahm er so viel, als seine Taschen fassen konnten, und ging vergnügt 
zu seiner Viehherde zurück. Zu Hause angekommen, versteckte er das 
Geld in seinem Koffer. Aber trotz aller Vorsicht hörte die Magd das 
Klingen der Münzen und zeigte dies ihrem Herrn, dem alten Mühl- 
peter, an, der den Jungen wegen des Geldes zur Rede stellte. Der- 
selbe erzählte nun das wunderbare Ereignis und versprach seinem 
Herrn den Eingang zu den unermeßlichen Schätzen zu zeigen. Als 
jedoch beide am nächsten Tage zum Braunsteine kamen, war zu ihrer 
höchst unliebsamen Uberraschung das Felsenthor unsichtbar. Der Mühl- 
peter kaufte bald darnach dem Hirtenjungen ein neues Gewand, gab 
ihm das größte Goldstück und schickte ihn in die Fremde. Das übrige 
Geld behielt er für sich und ward, freilich auf ungerechte Weise, ein 
reicher Mann. 
Ein anderer Hirtenjunge, der gleichfalls am Fuße des Braun- 
steins hütete, sah eines Tages eine Menge kleiner, buntgefärbter Lein- 
wandfleckchen auf der Erde liegen. Um den Kindern seines Herrn bei 
seiner Heimkehr eine Freude zu bereiten, suchte er die schönsten Flecke 
aus und steckte sie in seine Hirtentasche. Um die Mittagsstunde trieb 
er seine Viehherde nach Hause. Als er diese im Stalle versorgt hatte, 
ging er in die Stube und wollte die mitgebrachten Geschenke verteilen. 
Er griff in die Tasche, doch siehe! statt der bunten Flecklein zog er 
lauter funkelnde Goldstücke heraus. Darob herrschte unbeschreibliche 
Freude im ganzen Hause. Nur der geldgierige Herr gab sich mit dem 
erhaltenen Gelde nicht zufrieden, sondern schickte den Jungen eiligst 
zurück, damit er alle Leinwandflecke sammle und heimbringe. Als der- 
selbe fast atemlos zur Fundstelle kam und mit einemmale ein Zwerg 
vor ihm stand, stiegen ihm vor Furcht die Haare zu Berge, und kein 
Wort kam über seine Zunge. Doch das Männlein, das die Ursache 
seines Kommens wußte, sprach zornentbrannt zu dem Jungen: „Du 
bist zwar unschuldig, aber Dein habsüchtiger und ungenügsamer Herr 
hat Dich hierher geschickt, um den ganzen Schatz zu gewinnen. Dafür 
soll er hart gestraft werden, er soll — verarmen!“ Hierauf verschwand 
der Zwerg. Vor Angst und Schrecken eilte der arme Hirtenjunge durch 
dick und dünn heim, erzählte das eben Geschehene und starb bald darauf. 
Auch des Zwergleins Prophezeihung ging buchstäblich in Erfüllung; 
denn der Herr des Jungen kam an den Bettelstab. 
So muß gar oft der Unschuldige mit dem Schuldigen leiden. 
  
  
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