Full text: Sagenbuch des Erzgebirges.

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wurde, da er drei Esel besaß, der Eselsgürge genannt, und er war 
allgemein wegen seiner Gutherzigkeit beliebt und gern gesehen. Der 
zog sich das Gras dieser Wiese zu Nutze und seine Esel wurden dick 
und fett davon. 
Einst, bei einem heftigen Gewitter, pochte es des Nachts an seine 
Hütte, und als er die Thür öffnete, da trat eine wunderschöne Jung- 
frau, die trotz des Unwetters ganz trocken war, weiß verschleiert her- 
ein, rosenfarbene Sandalen an den Füßen und einen goldenen, mit 
Diamanten gezierten Kranz auf dem Haupte. Sie setzte sich an seinen 
Tisch, als er ihr aber Essen und Trinken, sowie sein armseliges Bin- 
senlager zum Schlafe anbot, wies sie beides zurück und sagte, sie be- 
dürfe dieser irdischen Erholung niemals, und auf sein Befragen, wo- 
hin sie wolle, entgegnete sie: „Nach oben, wo ich herkomme“. Der 
arme Gürge legte sich hierauf verwundert wieder nieder, als aber der 
Morgen anbrach, weckte sie ihn auf, um Abschied zu nehmen, und als 
er sie ein Stück Weges begleitete, fragte er sie, ob sie nicht die hei- 
lige Jungfrau selbst sei, sie gleiche gar zu sehr dem Bilde derselben, 
wie er es in den Kirchen so oft gesehen. Darauf antwortete sie: „Ja, 
ich bin es; Du aber, guter Gürge, sollst den Lohn für Deine Gast- 
freundschaft heute Abend erhalten, wenn Deine Esel von der Weide 
zurückkehren“. Damit verschwand sie. Als nun die Sonne im Unter- 
gehen war, da ging Gürge voll Neugier seinen Eseln entgegen, allein 
er konnte nichts an ihnen wahrnehmen, als daß ihre Mäuler blutig 
waren. Da es nun auf der Wiese weder Dornen noch scharfe Gräser 
gab, solche die Esel auch bekanntlich wegen ihrer Hartmäulichkeit nicht 
verwunden können, so begab er sich an Ort und Stelle und trat plötz- 
lich auf etwas Spitzes. Er griff darnach und zog einen Goldbarren 
aus der Erde, ja er fand ohne viel Mühe eine Menge davon; er 
holte darauf seine Esel, die sich davon blutig gefressen, und trieb sie 
schwerbeladen in sein Hüttchen zurück. Am andern Morgen aber, wie 
er seinen Reichtum beschaute, beschloß er davon eine Kirche zu bauen. 
Dies soll die Marienkirche sein. Das Volk aber hält noch heute die 
hölzerne Statue des Obristwachtmeisters von Heldreich (# 1674), welche 
sich über der Thür zur sogenannten Götzenkammer in der erwähnten 
Kirche befindet, für das Bild des armen Eselgürge, den man auch 
zum Stammvater der Herren von Römer gemacht hat. 
Nach einer andern mündlichen Uberlieferung soll das gefundene 
Gold eine zapfenähnliche Form gehabt haben. Die Menge desselben 
betrug zehn Scheffel. 
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