Full text: Sagenbuch des Erzgebirges.

berühmten Apotheke hole, kehrte der Jüngling um Mitternacht nach 
Reifland zurück, und als er seinen schlafenden Vater geküßt, schwamm 
er über die Flöha und gelangte unbemerkt zwischen den Wachen hindurch 
nach Lengefeld. Um den Vater seiner Braut zu retten, kam er zwar 
zu spät, allein es gelang ihm doch, diese selbst, sowie deren Großvater 
und viele andere mit seinem Wunderessig wieder herzustellen. Bald 
verschwand die furchtbare Pest, die Sperre wurde aufgehoben und die 
übrig gebliebenen Bewohner von Lengefeld, Rauenstein und Reifland 
feierten ein Wiedersehens- und Dankfest. Auf der Stelle, wo dies 
geschah und die Einwohner genannter Orte sich trafen, wurde zur Er— 
innerung ein Stein aufgerichtet und dieser bewahrt noch heute die 
Erinnerung an jene traurige Zeit. 
656. Der rote Stein auf der Kirchgasse zu Annaberg. 
(Ziehnert a. a. O., Anhang, No. 26.) 
Auf der unteren Hälfte der großen Kirchgasse in Annaberg be- 
findet sich im Pflaster ein roter Stein, von dem folgendes erzählt wird: 
Ein Chorknabe stand auf der Galerie des Kirchturms und 
ward von einem Windstoß gefaßt und herabgeworfen. Da aber sein 
Chormantel ihm als Fallschirm diente, so kam er glücklich und wohl- 
behalten auf die Erde. Dies sah ein Schieferdecker, und alsbald kam 
dem verwogenen Gesellen ein Lüsten an, dieselbe Fahrt, welche ihm 
lustig genug schien, auch zu versuchen. Er nahm also einen Mantel 
um, stieg auf den Turm und sprang herab. Aber wehe, der Mantel 
verwickelte sich, und kopfüber im jählingen Sturze schmetterte der toll- 
kühne Schieferdecker auf das Pflaster. Wo er seinen blutigen Tod 
fand, setzte man zum Andenken an diese Begebenheit den roten Stein 
in das Pflaster. 
657. Das Kreuz und der Kelch bei Wolkenstein. 
(Ziehnert, Sachsens Volkssagen, Anhang, No. 16. Fr. W. Köhler, 
Hist. Nachrichten von der Bergstadt Wolkenstein, 1781, S. 237.) 
In der Mitte einer 100 Ellen hohen, steilen Felsenwand, welche 
an der Zschopau sich erhebt und das Schloß Wolkenstein trägt, waren 
früher ein Kreuz und Kelch in den Stein eingehauen. Diese beiden 
Zeichen erinnerten an eine traurige Begebenheit. Nämlich im Jahre 
1428 ergriffen die Hussiten einen papistischen Priester in Wolkenstein 
und drohten ihm mit dem Tode, wenn er nicht sogleich seinen Glauben 
ändern würde. Der fromme, festgläubige Mann aber bekannte *2 
  
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