Full text: Sagenbuch des Erzgebirges.

hatten jedoch schon Vorbereitungen getroffen, ihnen schnell zu folgen. 
Es wurde eine Notbrücke niedergelassen und bald sahen sich die Weichen- 
den von vorn und hinten angegriffen. Hinter ihnen kamen die Be- 
lagerten und vorn wurden sie von des Königsbergers Sohne mit 
seinen Mannen bestürmt. Nur durch rasche Flucht war es dem fehde- 
lustigen und hartherzigen Ritter möglich, der Gefangenschaft oder dem 
Tode zu entgehen. Er überschritt mit den ihm noch übrig gebliebenen 
Knechten, da er in den Trümmern seiner Burg Frau und Tochter, 
welche unterdeß geflohen waren, nicht fand, den Kamm des Erzge- 
birgs und baute sich in wilder Gegend eine neue Burg. Von dieser 
aus durchzog er nun die Wildnis nach Bären, Wölfen und Auer- 
ochsen. Eines Tages meldete ihm einer seiner Troßbuben, daß er in 
einer gewissen Gegend einen weißen Hirsch gesehen habe. Diese Nach- 
richt reizte den Ritter und er zog alsbald aus, die Spur des selt- 
samen Tieres zu suchen. Bald hatte er dieselbe auch gefunden, und 
als er darauf des Hirsches ansichtig ward, warf er seinen Jagdspieß 
nach demselben. Der zu Tode getroffene Hirsch raffte sich wieder 
auf und floh blutend in das Dickicht. Als nun der Ritter mit seinen 
Knechten durch dasselbe drang, erreichte er das Ufer eines klaren 
Sees, an welchem sich eine Erdhütte erhob. Dort lag auch der ver- 
wundete weiße Hirsch, über den sich eine Jungfrau beugte; neben ihr 
standen noch drei Personen. Der Ritter erkannte sie sehr wohl, er 
eilte hinzu und wurde in seiner Wut der Mörder der Seinen. Da 
verhüllte eine dunkle Wolke die Sonne, gleichsam als solle dieselbe 
die Unthat nicht sehen. Der klare See aber wurde zu einem unheim- 
lichen Sumpfe und die Fischlein wurden zu Molchen. Noch zeigt man 
bei den Henneberger Häusern südwestlich von Johanngeorgenstadt die 
Stelle, wo der See lag. 
Als der Himmel so vernehmlich zu dem Ritter und seinen Knech- 
ten gesprochen hatte, wollte keiner von ihnen den toten weißen Hirsch 
mit zur Burg tragen; dem Ritter selbst lag auch nichts daran. In 
der folgenden Nacht aber erbebte ringsum die Erde und in der Burg 
des vierfachen Mörders ertönte ein furchtbares Krachen. Die Morgen- 
sonne beschien einen gewaltigen Trümmerhaufen, und der Kopf des 
Ritters schaut noch heutigen Tages von der einen Felskuppe, welche 
man den Teufelsstein heißt und die sich an der Stelle der ehemaligen 
Burg erhebt, nach Osten. Der Teufel hatte in der Nacht die Burg 
zerstört und zum warnenden Zeichen den Kopf des Gottlosen an dem 
Felsen aufgerichtet. 
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