sollte es auch seine eigene Tochter sein — lebendig einmauern zu lassen.
Noch sieht man in der geborstenen Mauer des Hassenstein eine Nische,
welche der Ritter Emerich für diese furchtbare Bestimmung herstellen
ließ, um seinem Gelöbnis den weiblichen Schloßbewohnern gegenüber
den rechten Nachdruck zu geben.
So vergingen Jahre. Der Ritter jagte in den ungeheuren Wäl—
dern den starken Eber oder den flüchtigen Edelhirsch, während seine
Gemahlin die Erziehung ihrer Kinder, dreier Knaben, welche des Vaters
Stolz und Freude waren, überwachte. Als die Söhne wehrhaft ge—
worden waren, lernten sie auf den Nachbarburgen feine Sitte, und
nachdem sie den Schwertschlag zu Gottes und Mariens Ehre erhalten
hatten, dienten sie als Ritter an den Höfen im deutschen Reiche. Die
Burgfrau hatte ihrem Gemahl später auch ein Töchterchen geschenkt,
dessen Geburt der Mutter leider das Leben kostete. Auf ihrem Sterbe-
lager hatte sie ihr Kind der Obhut des alten Schloßkaplans über-
geben, welcher ihr versprach, dasselbe in Frömmigkeit zu erziehen und
Vaterstelle an ihm zu vertreten. Denn der Ritter war zu häufig in
Fehden verwickelt und oft lange von der Burg abwesend, als daß er
sich der Erziehung seiner Tochter, welche bei der Taufe den Namen
Guta empfing, mit rechter Aufmerksamkeit hätte widmen können.
Der Schloßkaplan, ein sanftmütiger Priester, verwendete nun
seine ganze Sorgfalt auf die Erziehung der kleinen Guta, und beson-
ders war es die wunderbare Welt der Märchen und der Kreis der
Sagenlieder und Legenden, welche auf die empfängliche Schülerin den
größten Eindruck ausübten. So wuchs das Mädchen zur blühenden
Jungfrau heran und fast schien es, als ob dieselbe ihren sanften Lehrer
mehr liebe, als den strengen Vater. Derselbe dachte endlich daran,
wie er seine Tochter versorgen und sich damit zugleich eines Nachfolgers
im Besitze der Burg versichern könne. Alle seine Söhne, seine natür-
lichen Stützen und Erben hatten ihn ja verlassen, sie weilten, Abenteuer
suchend, in weiten, unbekannten Fernen und nie hatte er eine Nachricht
von ihnen erhalten. Die Wahl eines passenden Eidams erschien ihm
nicht leicht, doch hoffte er sie am besten am Hoflager zu Regensburg
treffen zu können, wohin Kaiser Heinrich IV., seines kaiserlichen
Gönners Sohn, die Fürsten, Ritter und Edlen entboten hatte, damit
des Reiches Wohl und der Römerzug beraten werde. Ritter Emerich
begab sich also nach Regensburg.
Während der Abwesenheit des Burgherrn beschloß der greise
Kaplan, seiner Pflegetochter, welche bisher kaum über die Schwelle
des äußern Burgthores hinausgekommen war, ein größeres Maß von
Freiheit zu gewähren. Er führte sie daher hinaus in die Wälder und
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