Prisenordnung.
Vom 30. September 1909.¹)
Abschnitt I.
Allgemeine Bestimmungen.
1. Die Kommandanten S. M. Kriegsschiffe haben während der Dauer eines
Krieges nach Maßgabe der nachstehenden Bestimmungen das Recht, feindliche oder
neutrale Kauffahrteischiffe anzuhalten, zu durchsuchen und sie ebenso wie die auf
ihnen befindlichen feindlichen und neutralen Güter zu beschlagnahmen und ausnahms=
weise zu vernichten.
Während eeines Waffenstillstandes ruht dieses „Prisenrecht“ nur dann, wenn
das ausdrücklich vereinbart wird.
Die Rechtmäßigkeit der Beschlagnahme von Kauffahrteischiffen („Auf=
bringung“), der Beschlagnahme von Gütern sowie der Vernichtung von
neutralen Kauffahrteischiffen oder von Gütern aus ihrer Ladung wird
später durch prisengerichtliches Urteil festgestellt. Das prisengerichtliche
Verfahren findet auf Antrag eines Interessenten auch dann statt, wenn
die einmal bewirkte Beschlagnahme vom Kommandanten selber wieder
aufgehoben worden ist (vgl. 97). Das Prisengericht erkennt auf „Ein=
ziehung“ oder auf Freigabe mit oder ohne Schadenersatz, im Falle der
Vernichtung sowie einer vom Kommandanten selber wieder aufgehobenen
Beschlagnahme unter Umständen auf Schadenersatz.
2. Auf neutrale Staatsschiffe ist das Prisenrecht nicht anzuwenden.
Feindliche Staatsschiffe verfallen ohne weitere Förmlichkeiten nach Kriegsrecht
(vgl. jedoch 7).
Staatsschiffe sind die Kriegsschiffe sowie die zu Staatsdienstzwecken
verwendeten und unter staatlicher Befehlsgewalt stehenden Schiffe. Ihnen
werden die im sonstigen Eigentume des Staates stehenden Schiffe gleich=
geachtet.
Die notwendigen Merkmale der Kriegsschiffe sind: Kriegsflagge (dazu
in der Regel der Wimpel), vom Staat eingesetzter Befehlshaber, dessen
Name in der Rangliste der Kriegsmarine steht, und militärisch disziplinierte
Besatzung. Vgl. Artikel 2 bis 4, und 6 des Abkommens VII der II. Haager
Konferenz.
3. Das Prisenrecht ist nicht geltend zu machen:
a) innerhalb neutraler Hoheitsgewässer, d. h. innerhalb eines Seegebietes,
das in einer Breitenausdehnung von 3 sm, von der Niedrigwasserküsten=
linie gerechnet, die Küste und die zugehörigen Inseln und Buchten be=
gleitet; als zugehörig gelten: Inseln, wenn sie nicht weiter als 6 sm von
einer demselben Staate gehörigen Festlandsküste entfernt sind, Buchten,
wenn ihre Küste ausschließlich in Besitz neutraler Staaten steht und ihre
Öffnung 6 sm oder weniger breit ist.
b) innerhalb derjenigen Gewässer, welche vertragsmäßig den Kriegsoperati=
onen oder den Kriegsschiffen verschlossen sind. Dieses sind:
¹) Veröffentlicht im Reichsgesetzblatt vom 3. August 1914 Nr. 50.