Full text: Lehrplan für die einfachen Volksschulen des Königreichs Sachsen vom 5. November 1878.

16 § 2. Religions= und Sittenlehre. 
gewähren. Danach ergibt sich die hohe Bedeutung des Religions- 
unterrichts. Die gedachte Verpflichtung der Volksschule erschöpft sich 
aber keineswegs darin, daß diese wöchentlich einige Stunden zur Ein- 
führung der Jugend in Geschichte und Lehre der christlichen Religion 
verwendet. Das kann nicht oft genug wiederholt werden. 
Auch andere Fächer, z. B. das Deutsche, der Anschauungsunterricht, 
die Realien und der Gesang, sind bis zu einem gewissen Grade schon 
der Natur ihres Lehrstoffes nach geeignet, Einfluß auf die sittlich- 
religiöse Bildung der Kinder zu gewinnen; wenn sich die Schule jeder- 
zeit dessen bewußt ist, dann wird sie eingedenk ihrer Aufgabe keine der 
gegebenen Gelegenheiten, jenen unmittelbaren Einfluß taktvoll zu unter- 
stützen, unbenutzt vorübergehen lassen. 
Ferner mag daran erinnert werden, daß die Lehrmethode bei 
sämtlichen Fächern des Schulplanes, wenn sie in Absicht auf gute 
Unterrichtserfolge zu ununterbrochener Aufmerksamkeit und strenger 
Gedankenzucht anhält, wenn sie die Willenskraft der Kinder bei Lösung 
von Aufgaben, bei Einübung des Gelernten, überhaupt zu tüchtiger 
Arbeit ernstlich in Anspruch nimmt, wenn sie bei allen Leistungen be- 
harrlich auf Fleiß, Pünktlichkeit, Ordnung und Sorgfalt dringt, zu- 
gleich aurh der sittlichen Bildung erheblich Vorschub zu leisten vermag. 
Endlich ist noch zu gedenken all der Vorkehrungen und Ver- 
anstaltungen innerhalb des Schullebens überhaupt, welche auf die 
Gewöhnung der Kinder an Gottesfurcht und trene Pflichterfüllung, an 
Ehrlichkeit und Offenheit, an Höflichkeit, Bescheidenheit und Wohl- 
anständigkeit, an Freundlichkeit und Gefälligkeit rc. berechnet sind. 
Begonnen und beschlossen mit Gebet, durchdrungen von dem 
Ernste der Wahrheit und der Liebe, geleitet von des Lehrers Treue 
und Gewissenhaftigkeit, sleht der gesamte Schulunterricht in dem Dienste 
der religiös-sittlichen Jugendbildung. Und so soll es ja sein. 
Da auch die äußere Ordnung der Schule für die Erziehung der 
Kinder von großem Einflusse ist, sind zum Zwecke ihrer einheitlichen 
Behandlung in mehreren Bezirken besondere Bestimmungen getroffen 
worden. Vergl. Schulrat Reil: Schulordnung und Lehrplan für die 
zwei= und vierklassige einfache Volksschule des Schulaussichtsbezirks 
OÖschatz 1903 und Pirna 1905. · 
Möchte die Schule nur in ihren Bemühungen, die Jugend zu 
christlicher Frömmigkeit und sittlicher Tüchtigkeit zu erziehen, allseitig 
unterstützt werden! 
Vergl. hierzu Grüllich, Zweiter Beitrag zur Methodik der 
Volksschule (Meißen): „Die Volksschule muß die alleinige Verantwor- 
tung für die sittlichen Gebrechen des heranwachsenden Geschlechts, die 
man ihr gern zuweisen möchte, ablehnen. Wenn der Geist des ganzen 
Lebens draußen, den die Jugend einatmet, auf Genuß gerichtet ist, 
die sittlichen Grundsätze allenthalben lockerer geworden sind, wenn gerade 
auch die Notlage unserer Zeit den Mangel des Gottvertrauens und 
sittlichen Haltes kundtut, wenn es im Elternhause an fester Zucht 
und frommer christlicher Liebe fehlt und wenn nun eben in der jugend- 
lichen Seele eine tiefe Empfänglichkeit für alles das, was ihr vor- 
gelebt wird, vorhanden ist: wie kann da die Schule in erster Linie
	        
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