Nebersicht der politischen Entwichelung des Jahres 1896. 313
halb die Entnahme von Geldern aus der Staatsschuldenkasse zum
Zwecke des Sudanfeldzuges, um hierdurch den von den Derwischen
bedrohten Italienern Luft zu machen.
In Deutschland stand die öffentliche Meinung bei Beginn Nisch
des Jahres unter dem Einflusse der Ereignisse in Südafrika und
des sich daraus entwickelnden Streites zwischen Deutschland und
England. Die Parteien waren einhellig in der Verurteilung des
Jameson'schen Friedensbruchs, in der Zurückweisung der englischen
Ansprüche auf die Präponderanz in Südafrika und der Angriffe
auf die Depesche des Kaisers an Präsident Krüger. Den äußeren
Abschluß fand diese Angelegenheit in der Publikation des deutsch-
englischen Schriftenwechsels (S. 26) und der Besprechung im Reichs-
tage, wo Frhr. v. Marschall unter dem Beifall des Hauses aus-
führlich den deutschen Standpunkt darlegte. Weiter aber als bis zur
Abwehr der englischen Prätensionen ging die deutsche Einigkeit nicht;
sobald es sich darum handelte, eine feste Stellung zu den über-
seeischen Interessen Deutschlands zu nehmen, erhoben sich Schwierig-
keiten. Die Sozialdemokraten betonten ihr grundsätzliches Miß-
trauen gegen die auswärtige Politik der Regierung und verwarfen
jede Kolonialpolitik, Freisinnige und Zentrum fürchteten eine über-
spannung der Kolonialpolitik und eine Weltmachtspolitik, die die Slote-
deutschen Finanzen erschöpfen werde, und auch die übrigen großen
Parteien blieben unentschieden. Am deutlichsten zeigte sich das in
der Flottenfrage. Die Differenz mit England um überseeische In-
teressen lenkte naturgemäß den Blick auf die Flotte, das Instru-
ment, das die deutschen Interessen in fremden Erdteilen in erster
Linie zu vertreten hat. Man untersuchte, ob die Marine ihrer
Aufgabe gewachsen sei, und führte dann im Anschluß an die vor-
jährigen Reden der Staatssekretäre der Marine und des Auswär-
tigen aus, daß sie nicht entfernt genüge; weder könne sie den über
alle Weltteile verbreiteten Handel oder die zahlreichen Deutschen
im Auslande gegen Mißhandlungen durch halb oder ganz barba-
rische Völker schützen, noch könne sie im Falle eines Krieges mit
einer europäischen Großmacht die Handelsflotte und die Kolonien
verteidigen oder eine der Exportindustrie so überaus schädliche
Blockade der deutschen Küsten verhindern; nationale und kommer-