Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band I. Deutsches Reichsstaatsrecht. (1)

4 Erster Abschnitt: Die Entstehungsgeschichte des Deutschen Reiches. 81 
  
werden sollte. Die Dauer des Bündnisses wurde durch Art. 6 des Vertrages 
auf ein Jahr festgesetzt; mit Ablauf dieses Zeitraumes erlosch der Vertrag 
von selbst, falls er nicht schon vorher durch Gründung eines dauernden 
Bundesverhältnisses erledigt wurde. 
Abgesehen von der für ein Jahr geschlossenen Offensiv- und Defensiv- 
Allianz verpflichteten sich demnach die norddeutschen Staaten zu einer ein- 
maligen Leistung, zu einer Handlung, die ihrer Natur nach nicht wiederkehren 
kann, nämlich zur Herstellung einer Bundesverfassung. Sie gründeten nicht 
einen Bund, sondern sie verpflichteten sich, einen Bund zu gründen; sie ver- 
einbarten nicht eine Verfassung, sondern sie vereinbarten einen Modus behufs 
Feststellung einer Verfassung !). Der Bündnis-Vertrag vom 18. August 1866 
und die ihn erweiternden Friedensverträge begründeten vertragsmässige 
(völkerrechtliche) gegenreitige Pflichten und Rechte. Kam die Herstellung des 
Bundes nach Massgabe der in dem Augustvertrage vereinbarten Modalitäten 
zustande, so durfte keiner der Kontrahenten von diesem Bunde sich fernhalten, 
keiner von demselben ausgeschlossen werden. Das Augustbündnis echuf nicht 
den Norddeutschen Bund und wurde nicht durch das Zustandekommen der 
Bundesverfassung prolongiert, entwickelt oder vollendet, sondern es wurde 
durch die Gründung des Nordd. Bundes beendigt, indem eserfüllt 
wurde. Die Regierungen begannen mit der Erfüllung der ihnen obliegenden 
Verpflichtung, indem sie ihren Landtagen ein Wahlgesetz für den Reichstag 
vorlegten, welches sich so eng als möglich an das Reichswahlgesetz von 1849 
anlehnte; dasselbe wurde in allen verbündeten Staaten in verfassungsmässiger 
Weise genehmigt, in einigen freilich, namentlich in Preussen und Mecklenburg, 
nicht ohne Abänderungen des Reichswahlgesetzes von 1849. Auch wurde dem 
zu wählenden Reichstage in der überwiegenden Mehrzahl dieser Gesetze nur 
die Befugnis zur ‚Beratung‘, nicht auch zur ‚„Vereinbarung‘‘ der Bundes- 
verfassung erteilt, so daß den landständischen Versammlungen aller einzelnen 
norddeutschen Staaten eine Superrevision des zwischen den Regierungen und 
dem Reichstage festzustellenden Verfassungsentwurfes vorbehalten blieb ®). 
1) Hänel, Studien I 8. 69 ff. 
2) Binding, a. a. O. geht von der Annahme aus, dass die zwei Subjekte der 
Vereinbarung die Regierungen und das norddeutsche Volk, organisiert zum Parlanıente, 
gewesen seien und das Parlament den Regierungen gleichberechtigt gegenüber gestanden 
habe. Mit dieser Fiktion stand, wie Binding selbst ausführt, das Verhalten der Regie- 
rungen und Landtage keineswegs im Einklange und es ergeben sich Schwierigkeiten, 
deren Lösung auch Binding nicht gelungen ist. Die ganze Grundlage seiner Erörterung 
ist aber falsch; der August-Vertrag begründete Rechte und Pflichten ausschliesslich 
unter den deutschen Einzelstaaten; der Reichstag war nicht als „Paziszent‘‘, als gleich- 
berechtigtes Rechtssubjekt gedacht, sondern als ein Mittel, um zur Vereinbarung 
einer Verfassung zu gelangen; er hatte keine staatsrechtlichen Befugnisse, wohl aber 
eine grosse politische Funktion nach zwei Richtungen auszuüben; er sollte einerseits 
dazu dienen, die von einander abweichenden Ansichten und partikularistischen Ten- 
ddenzen der einzelnen Regierungen auszugleichen, andererseits sollte seine Zustimmung 
eine Bürgschaft bieten, dass die vereinbarte Verfassung den politischen Anschauungen 
und Wünschen des Volks, der öffentlichen Meinung, entspreche. Alle Rechtsakte 
aber, welche zur Gründung des Bundesstaates führten, waren Akte der souveränen 
Einzelstaaten; der verfassungsberatende Reichstag nahm an diesen Rechtshandlungen 
nicht teil; er war dazu weder rechtlich berufen noch befähigt. Gegen Binding 
vgl. auch die Ausführung von Hänel, Staatsr. I S. 19 fg. und die Abhandlung von 
Rich. ILudson, The Formation of the north german Confederation in der Political
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.