$ 15 II. Der Weg der Reichsgesetzgebung. 127
des Reichsgesetzes in Gesetz- oder Amtsblättern der Einzelstaaten. Das
Reichsgesetzblatt enthält daher eine vollständige Sammlung aller
Reichsgesetze; es gibt keine Reichsgesetze mit verbindlicher Kraft, welche
nicht im Reichsgesetzblatt abgedruckt sind !). Der Verkündigung liegt die
Ausfertigung zu Grunde.
Die Amtshandlung der Gesetzes-Verkündigung liegt dem Reichskanzler
ob; der Reichskanzler ist daher von Rechts wegen der Herausgeber des
Reichsgesetzblattes?). Daraus ergibt sich zugleich, dass der Reichskanzler
für den Inhalt des Reichsgesetzblattes verantwortlich ist, d. h. er darf kein
Gesetz in demselben abdrucken, von welchem ihm nicht die kaiserliche Aus-
fertigung zugegangen ist, und er hat darüber zu wachen, dass der Abdruck
fehlerfrei, ohne Zusätze und ohne Auslassungen erfolgt). Die Verantwort-
lichkeit erstreckt sich ferner darauf, dass alle vom Kaiser ausgefertigten
Gesetze vollständig und rechtzeitig im Reichsgesetzblatt abgedruckt werden.
Durch diese in positiver und negativer Richtung wirkende Verantwortlichkeit
des Reichskanzlers für den Inhalt des Reichsgesetzblattes ist eine staatsrecht-
liche Garantie für die Echtheit des im Reichsgesetzblatt gelieferten Abdrucks
gegeben. |
Der durch die Verantwortlichkeit des Reichskanzlers gesicherte Abdruck
dcs Gesetzes im Reichsgesetzblatt hat die rechtliche Eigenschaft der A u-
thentizität. Die Prüfung, welche den Behörden und Angehörigen des
Reichs hinsichtlich der Existenz der Reichsgesetze obliegt, beschränkt sich
daher darauf, dass sie sich überzeugen, dass das Reichsgesetz in dem Reichs-
gesetzblatt in der dem Art. 17 der RV. entsprechenden Art und Weise ab-
gedruckt ist. Die vorstehenden Sätze werden im Art. 2 der RV. in einer an
die Fassung des Art. 1 des Code civil anklingenden Weise ausgedrückt, indem
es daselbst heisst: ‚Die Reichsgesetze erhalten ihre verbindliche Kraftdurch
ihre Verkündigung vonReichs wegen, welche vermittelst eines Reichs-
gesetzblattes geschieht.“ Es sollte dadurch der Gegensatz gegen die sogen.
Bundesgesetze des D. Bundes ausgedrückt werden, welche ihre verbindliche
Kraft in jedem Bundesstaat nur durch die in demsolben erfolgte Verkündi-
gung erhielten. In Wahrheit beruht die verbindliche Kraft der Reichsgesetze
nicht auf der Verkündigung, sondern auf der Sanktion derselben, welche die
Ausfertigung und Verkündigung zur rechtlich notwendigen Folge hat; an-
dererseits aber erlangt ohne die Verkündigung im Reichsgesetzblatt kein
Reichsgesetz verbindliche Kraft *). Die Verkündigung ist der Endpunkt des
1) Eine scheinbare, lediglich auf subalternen Sparsamkeitsrücksichten oder Be-
quemlichkeit beruhende Ausnahme hat sich in der Praxis für den Fall gebildet, dass
ein Landesgesetz zum Reichsgesetz erklärt oder in einem andern Gebiete des Reichs
eingeführt oder in einenı Reichsgesetz in Bezug genommen wird; alsdann wird bisweilen
der Wiederabdruck im Reichsgesetzblatt unterlassen und nur auf den im Gesetzblatte
des Einzelstaates erfolgten Abdruck verwiesen, welcher dadurch vom Reiche für authen-
tisch erklärt wird.
2) In Uebereinstimmung hiermit bestimmt die V. v. 26. Juli 1867 83 (BGBl. 8. 24):
„Die Herausgabe des Bundesgesetz-Blattes erfolgt im Bureau des Bundeskanzlers‘“.
3) Bei fehlerhafter Verkündigung ist der Reichskanzler daher auch für die ‚„Be-
richtigung‘‘ verantwortlich. Vgl. darüber mein Staatsr. d. D. R. IS. 58 ff.
4) Von der Verkündigung der Reichsgesetze ist zu unterscheiden die amtliche