8 Erster Abschnitt: Die Entstehungsgeschichte des Deutschen Reiches. 1
Diese, in den Publikationsgesetzen bekundeten Willenserklärungen der
einzelnen Staaten und die zu ihrer Durchführung erfolgten Regierungs-
handlungen sind die definitive und vollständige Erfüllung des Augustbünd-
nisses !). Sie stellen de Handlung dar, zu welcher sich die Staaten
gegenseitig verpflichtet hatten, nämlich die Gründung des Bundes. Mit
dieser Gründung war das Augustbündnis nach der ausdrücklichen Bestimmung
in Art. 6 desselben erloschen. Am 1. Juli 1867 war der Norddeutsche Bund
errichtet, nicht früher und auch nicht später. Als am 14. Juli 1867 der König
von Preussen den Grafen von Bismarck zum Bundeskanzler des Norddeutschen
Bundes ernannte, am 26. Juli 1867 die Einführung des Bundesgesetzblattes
anordnete und in der ersten Nummer desselben die Verfassung abdrucken
liess, war der Norddeutsche Bund schon vorhanden und die Verfassung des-
selben bereits in Geltung. König Wilhelm handelte bereits auf Grund der-
selben kraft der durch diese Verfassung ihm übertragenen Rechte.
Der Norddeutsche Bund konnte ohne eine bestimmte Verfassung nicht
zur Existenz kommen und folglich konnte die Sanktion
dieserVerfassungnichtvonihmausgehen. Das Problem,
dass ein erst zu gründendes Staatsgebilde sich selbst die Bedingungen seiner
Entstehung schafft, gleicht nach Störks treffendem Ausdruck der Frage
nach der Priorität zwischen Henne und Ei. Der Bund wurde in das Leben
gerufen von Staaten, die vor ihm existent waren und sich zu diesem Zwecke
vereinigt hatten: sie haben ihm seine Verfassung gegeben; er hat gleich bei
seiner Geburt seine Konstitution und Organisation mit auf die Welt gebracht.
Aber sie haben diese Verfassung ihm gegeben, nicht sich selbst; dareus
folgt, dass diese Gründung nicht unter den Gesichtspunkt des Landesgesetzes
gebracht werden darf, sondern als eine freie Willenstat aller bei der Gründung
beteiligten Staaten aufzufassen ist.
Die Frage nach dem Rechtsgrunde, auf welchem die verbindliche Kraft der
Bundesverfassung (resp. Reichsverfassung) beruht, ist vielfach erörtert und in sehr
verschiedener Weise beantwortet worden. Auf der einen Seite stehen einige Schrift-
steller, welche die Verfassung für einen völkerrechtlichen Vertrag halten. Sov. Mar-
titz, Betrachtungen S.6. 136. Westerkamp a.a.0. 8.20. Seydela.e. O.
G. Meyerin Hirths Annalen 1376 S. 658 ff., und Staatsrecht $ 61. v. Müller,
Krit. Vierteljahresschr. N. F. Bd. V. 8.593. Alsdann ist es allein konsequent mit
Seydel, auch das Bundesverhältnis fürein vertragsinässiges zu erklären,
und die Geltung der Bundesverfassung in jedem einzelnen Staate auf einen Akt der
Landesgesetzgebung zu begründen. Dagegen ist es unlogisch und in sich selbst wider-
spruchsvoll, wenn G.Meyer a.2a.0. sagt, „die Reichsverfassung ist ihrer Entste-
hung nach Vertragsrecht, ihrer Geltung nach Gesetzreeht‘‘ und wenn er behauptet,
sie sei als völkerrechtlicher Vertrag in Kraft getreten, aber nicht als überein-
stimmendes Landesgesetz sämtlicher verbündeter Staaten eingeführt worden. Aehn-
lich Brie, Theorie der Staatenverbindungen 8. 130 ff. und einige andere bei G.
Meyer, Staatsr. S. 181 (6. Aufl.) zitierte Schriftsteller. Ts liegt hierin eine Ver-
kennung des Wesens der völkerrechtlichen Verträge, welche in den Gebieten der ein-
zelnen Kontrahenten anders als durch Landesgesetz eine verbindliche Kraft gar nicht
erlangen können, an und für sieh vielmehr immer nur internationale Rechte
und Verpflichtungen von Staat zu Staat erzeugen. Im Gegensatz hierzu steht die
Auffassung, welche der Verfassung die Bedeutung eines für alle Einzelstaaten ver-
bindlichen Gesetzes beilegt, das auf einer über ihnen stehenden Macht, auf dem
1) Vgl. Liebe, Zeitschr. f. Staatswissensch. Bd. 38. S. 027 fe. Mejer, Ein-
leitung S. 301 fg. llänel, Staatsr. I. S. 29fg. Anschütza.a.0.