$ 20 Reichsverwaltung und Staatsverwaltung. 161
„Der Beaufsichtigung seitens des Reichs und der Gesetzgebung desselben
unterliegen die nachstehenden Angelegenheiten.‘ Es ist hierin die Kongruenz,
der Gesetzgebungs-Kompetenz und der Verwaltungs-Kompetenz des Reiches
ausgesprochen und die Verwaltungstätigkeit des Reichs ausdrücklich auf die
Beaufsichtigung beschränkt. Hinsichtlich einzelner Angelegenheiten ist dann
in den späteren Artikeln der Reichsverfassung oder in besonderen Reichs-
gesetzen dem Reiche auch die unmittelbare Geschäftsführung ganz oder teil-
weise übertragen worden. Es sind dies Ausnahmen, während Art. 4 das all-
gemeine Prinzip aufstellt. Ergänzt werden diese Regeln durch den Grund-
satz, dass den, bei ihrem Eintritt in den Norddeutschen Bund und das Deutsche
Reich souveränen, im Vollbesitze der staatlichen Gewalt befindlich gewesenen
Staaten alle diejenigen Rechte verblieben sind, welche nicht durch die Ver-
fassung oder durch verfassungsmässig erlassene Gesetze ihnen entzogen wor-
den sind.
1. Die freie Verwaltung der Einzelstaaten. Alle An-
gelegenheiten, welche der Autonomie der Einzelstasten unterliegen, bilden
das Gebiet der vollen und freien Verwaltung derselben. Aber dieselbe ist
keine souveräne und rechtlich unbeschränkte; denn abgesehen davon, dass
ihr Gebiet reichsgesetzlich umschrieben ist und das Reich berechtigt ist, alle
Vebergriffe in das der Reichskompetenz unterworfene Gebiet zurückzuweisen,
finden auf die Handlungen und Rechtsgeschäfte der Einzelstaaten such
vielfach die vom Reich erlassenen Vorschriften des Privatrechts, Straf-
rechts und Prozessrechts Anwendung; der Einzelstaat befindet sich daher
in bezug auf seine Verwaltungstätigkeit nicht innerhalb einer von ihm selbst
aufgerichteten, sondern innerhalb einer ihm von einer höheren Macht gegebenen
Rechtsordnung.
2. Die beaufsichtigende Verwaltung des Reiches.
&) Auf denjenigen Gebieten, auf welchen das Reich zur Gesetzgebung
befugt ist, hat das Reich nicht bloss eine Aufsicht darüber zu führen, dass
die vom Reich aufgestellten Rechtsregeln von den Regierungen der Einzel-
staaten nicht verletzt werden, sondern es kann infolge des formellen Gesetzes-
begriffes auch die Tätigkeit der Einzelstasten positiv bestimmen. Das
Reichsgesetz kann nicht nur einen Rechtsbefehl, sondern auch einen Ver-
waltungsbefehl enthalten, d. h. den Einzelstasten Handlungen anbefeh-
len. In sehr zahlreichen Gesetzen des Reiches ist dies geschehen und in allen
diesen Fällen ist die Geschäftsführung der Einzelstasten Vollziehung oder
Ausführung des Reichsgesetzes.
Aber auch in der Form der Verordnung kann das Reich Verwal-
tungsbefehle erlassen. Nash Art. 7 Ziff. 2 der Reichsveri. hat der Bundes-
rat zu beschliessen „über die zur Ausführung der Reichsgesetze erforder-
lichen allgemeinen Verwaltungsvorschriften und Einrichtungen, sofern
nicht durch Reichsgesetz etwas anderes bestimmt ist‘. Diese Verordnungen
sollen die gleichmässige Ausführung oder Handhabung der Reichs-
gesetze durch die Behörden der einzelnen Bundesstaaten sichern. Siehe oben
S. 65. Dieses Recht, Verwaltungs-Verordnungen zu erlassen,
Laband, Reichsstaatsrecht. 6. Aufl. 11