Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band I. Deutsches Reichsstaatsrecht. (1)

162 Fünfter Abschnitt: Die Funktionen des Reiches. $ 20 
  
ist wohl zu unterscheiden von der oben S. 137 ff. erörterten Befugnis, Rechts- 
regeln im Verordnungswege zu sanktionieren; während eine Rechtsordnung 
immer nur auf Grund besonderer gesetzlicher Ermächtigung (Delegation) 
gültig erlassen werden kann, ist der Bundesrat durch die Verfassung selbst 
mit dem Verwaltungs-Verordnungsrecht innerhalb der im Art. 7 Ziff. 2 ge- 
zogenen Grenzen ausgestattet und es bedarf einer speziellen reichsgesetzlichen 
Anordnung, um es ihm zu entziehen und dem Kaiser oder dem Reichskanzler 
oder einer anderen Reichsbehörde oder den Einzelstaaten zu übertragen. Die 
Beschlussfassung über die Verwaltungs-Verordnungen erfolgt nach den in 
den Art. 6 und 7 der RV. gegebenen Regeln. Die Zustimmung des Präsidiums 
zur Abänderung bestehender Vorschriften ist nach Art. 37 der RV. nur bei 
denjenigen Verw.-Verordnungen erforderlich, welche zur Ausführung der ge- 
meinschaftlichen Zoll- und’ Steuergesetzgebung dienen (RV. Art. 35) }). 
Die vom Bundesrate auf Grund des Art. 7 Ziff. 2 erlassenen Vorschriften 
haben niemals die Kraft von Rechts sätzen, sondern sind lediglich Instruk- 
tionen oder Anweisungen für die Regierungen und deren Behörden. Sie sind 
daher nur für die Amtsführung der letzteren verbindlich, nicht für Dritte; 
namentlich begründen sie keine Verpflichtungen der einzelnen Reichsange- 
hörigen, und ebensowenig können sie dieselben wirksam mit Strafe bedrohen. 
Die Verw.-Verordnungen des Bundesrats bedürfen aus demselben Grunde 
keiner Verkündigung; sie werden vielmehr den Einzelregierungen mitgeteilt, 
welche für die weitere Mitteilung an die Landesbehörden Sorge zu tragen 
haben. Soweit der Inhalt für das Publikum vom Interesse ist, kann eine 
öffentliche Bekanntmachung erforderlich und in der Bundes-Verordnung 
selbst den Einzelregierungen vorgeschrieben sein; aber eine solche Bekannt- 
machung ist etwas durchaus anderes als die Verkündigung eines Gesetzes oder 
einer Rechtsverordnung ?). 
b) Die Ueberwachung der Ausführung der Reichsgesetze, also 
die Kontrolle der reichsgesetzlich normierten Verwaltungen steht nach Art. 17 
der RV.dem Kaiserzu. Er übt diese Ueberwachung aus durch den Reichs- 
kanzler, und zwar entweder durch die demselben unterstellten obersten Be- 
hörden des Reiches oder durch Kommissare. Dem Recht des Kaisers ent- 
spricht die Pflicht der Bundesregierungen zur Berichterstattung an die Reichs- 
regierung. Auch jedes andere Mittel, um von der Tätigkeit der Bundesregie- 
rungen zur Ausführung der Reichsgesetze Kenntnis zu erlangen, ist anwend- 
bar. Bei einer Meinungsverschiedenheit zwischen dem Reichskanzler und der 
Regierung eines Einzelstaates über die richtige Auslegung und Handhabung 
eines Reichsgesetzes oder einer Verordnung des Bundesrates hat der Bundesrat 
—. — 
  
1) Für das Heerwesen und die Kriegsmarine ist dieses Sonderrecht entbehrlich 
wegen der im Art. 63 und im Art. 53 der Reichsverf. dem Kaiser eingeräumten Befug- 
nisse, welche das Recht des Bundesrates, Verwaltungsvorschriften zu erlassen, über- 
haupt sehr wesentlich beschränken und in der Hauptsache ausschliessen. 
2) Auch die Veröffentlichung von Verwaltungs verordnungen des Bundes- 
rats im Zentralblatt des D. Reichs ist keine „Verkündigung“ ; sie hat keine andere Be- 
deutung wie der Abdruck im Reichsanzeiger, oder wie sie etwa dem Abdruck der Er- 
kenntnisse des Reichsgerichts in den von Räten desselben herausgegebenen „Entschei- 
dungen“ zukommit.. .
	        
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