Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band I. Deutsches Reichsstaatsrecht. (1)

& 21 Die Staatsverträge. I. Juristische Natur. 165 
  
Rechtsgeschäfte, durch welche nur die Kontrahenten gegen einander An- 
sprüche und Verpflichtungen begründen. Die Entscheidung, ob ein Staats- 
vertrag erfüllt oder ob die völkerrechtlichen Folgen der Nichterfüllung ge- 
tragen werden sollen, steht in jedem Falle nur dem Staate als solchem, der 
Regierung, nicht den einzelnen Untertanen oder Behörden zu. Der völker- 
rechtliche Vertrag als solcher verpflichtet die letzteren niemals und unter 
keinen Umständen, und die einzelnen Behörden und Untertanen sind in kei- 
nem Falle weder befugt noch imstande, den Vertrag zu erfüllen. Nurder 
Staatalssolcher, der das alleinige Subjekt der aus dem Staatsver- 
trage hervorgehenden Pflichten ist, vermag dieselben zu erfüllen. Diese Er- 
füllung aber geschieht in der Mehrzahl der Fälle durcheinenBefehl 
an die Untertanen resp. Behörden. Wenn z. B. ein Schutz- und Trutzbündnis 
mit einer anderen Macht abgeschlossen wird, so ist dieser Vertrag für die 
Staatsangehörigen ohne alle und jede Rechtswirkung; sie gehorchen, falls 
derselbe zu einem Kriege führt, lediglich der Einberufungs-Ordre, dem 
Marsch-Befehl, dem Gesetz, welches ihnen die zur Kriegsführung erforder- 
lichen finanziellen Leistungen auferlegt usw.; also nicht die Vereinbarung 
unter den Staaten äussert rechtliche Wirkungen auf die Angehörigen eines 
derselben, sondern innerhalb jedes Staates wirkt einzig und allein der von 
der Staatsgewalt ausgehende Befehl. Ganz dasselbe gilt, wenn zwei Staa- 
ten übereinkommen, gewisse Geschäfte nach gleichmässigen Grundsätzen 
zu verwalten, Einrichtungen übereinstimmend zu treffen, sich gegenseitig 
Dienste zu leisten usw. Ein solcher Vertrag verpflichtet die Behörden der 
einzelnen Staaten nicht nur nicht, ihn zu erfüllen, sondern sie sind auch 
nicht einmal befugt, ihn zur Richtschnur ihrer amtlichen Tätigkeit zu neh- 
men, solange sie nicht von der vorgesetzten Behörde, also in letzter Instanz 
von der Zentralregierung ihres Staates, den Befehl erhalten haben, dem 
Vertrage gemäss zu handeln; und der Vertrag verliert für sie sofort jede 
Geltung, sobald sie von der vorgesetzten Behörde die Weisung bekommen, 
im Widerspruch mit demselben zu verfahren. Auch hier ist es also nicht der 
Vertrag, sondern der dienstliche Befehl der vorgesetzten Behörde, die Ver- 
waltungs-Verordnung, welche innerhalb des einzelnen Staates 
rechtliche Wirkungen entfaltet Wenn nun ein Staatsvertrag einen Inhalt 
hat, welcher die in einem oder mehreren der kontrahierenden Staaten be- 
stehenden Rechtssätze verändert oder aufhebt oder die Schaffung neuer 
Rechtsregeln erfordert, so ist es ebenfalls nicht der Staatsvertrag, der im- 
stande wäre, diese Rechtssätze hervorzubringen, sondern der Staatsvertrag 
erzeugt nur die Verpflichtung für die kontrahierenden Staaten, dass diese 
— und zwar jeder in seinem Gebiete — die vereinbarten Rechtssätze schaffen. 
Dazu ist ein Befehl der Staatsgewalt erforderlich, welcher die Befolgung 
der in dem Vertrage enthaltenen Rechtsregeln anordnet, sie mit Gesetzes- 
kraft ausstattet, d. h. ein Gesetzes befehl. 
Der Abschluss eines Staatsvertrages erzeugt demgemäss niemals 
irgend welche Rechtssätze oder Verwaltungs-Normen, sondern er begründet 
lediglich die Verpflichtung des Staates zum Erlass derselben. Durch
	        
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