168 Fünfter Abschnitt: Die Funktionen des Reiches. 8 21
dieser Handlungen aufgetragen wird. Zum Erlass ist der Reichskanzler oder
der Chef des betreffenden Ressorts befugt.
2. Enthält der Vertrag Vereinbarungen über allgemeine Verwaltungs-
vorschriften und Einrichtungen, welche zur Ausführung von Reichsgesetzen
dienen !), so ist nach Art. 7 Ziff. 2 der RV. der Bundesrat zum Erlass der
Anordnungen befugt, falls nicht durch Reichsgesetz der Erlass solcher An-
ordnungen dem Kaiser oder einer Reichsbehörde übertragen ist (Verwal-
tungsverordnungen). Dies gilt insbesondere von allen Staatsver-
trägen, welche in den Bereich der den Einzelstaaten zustehenden Verwaltung
eingreifen.
3. Dagegen ist die Uebereinstimmung von Bundesrat und Reichstag er-
forderlich, wenn zur Ausführung des Vertrages ein Gesetzesbefehl
notwendig ist. Dies ist aber nicht nur dann der Fall, wenn der Vertrag Rechts-
vorschriften enthält, welche das bestehende Recht aufheben, abändern, er-
gänzen, sondern auch dann, wenn er irgend einen Gegenstand betrifft, welcher
im Deutschen Reich in der Form der Gesetzgebung erledigt werden muss oder
erledigt zu werden pflegt, insbesondere auch, wenn er Verwaltungsregeln be-
trifft, die im Deutschen Reich durch Gesetze sanktioniert worden sind, da
solche Verwaltungsvorschriften formelle Gesetzeskraft haben. Die Frage,
welche Staatsverträge ‚in den Bereich der Reichsgesetzgebung‘‘ eingreifen,
ist demnach nicht im allgemeinen nach unabänderlichen Kriterien zu beant-
worten, sondern immer nur nach dem momentanen Zustande der Reichsgesetz-
gebung. Insoweit nun ein Gesetzesbefehl erforderlich ist, um einem Staats-
vertrage staatsrechtliche Geltung zu verschaffen, ist zum Erlass und zur Wirk-
samkeit dieses Befehles alles dasjenige erforderlich, was zum Zustandekommen
eines gewöhnlichen Gesetzes gehört, und die im $ 15 entwickelten Rechts-
sätze finden durchweg analoge Anwendung ?); die Erfordernisse sind demnach
Uebereinstimmung zwischen Bundesrat und Reichstag über den Inhalt, die
Sanktion, die Ausfertigung und die Verkündigung.
&) Die Feststellung des Inhaltes. Da nur der Kaiser die
Verhandlungen über Staatsverträge durch seine Beamten führen kann, so
ergibt sich, dass die Vorlage eines Staatsvertrages im Bundesrat immer nur
vom Kaiser (d. h. Preussen), niemals von einem anderen Bundesgliede er-
folgen kann ?). Da ferner die Vorlagen an den Reichstag nach Massgabe der
Beschlüsse des Bundesrates gebracht werden (RV. Art. 16), so folgt, dass dem
Reichstage ein Staatsvertrag nur vorgelegt werden kann, wenn der Bundes-
rat sich mit demselben einverstanden erklärt hat. Sowie hierdurch das sogen.
Recht der Initiative für die Mitglieder des Bundesrats und Reichstages in
1) 4. ». über Zollabfertigungen, Gewerbebetrieb, Schiffsvermessungspapiere, Zu-
Jassung zum Armenrecht, über die technische Einheit im Eisenbahnwesen (RGBl. 1887
S. 111fg.) und dgl.
2) Vgl. das Urt. des Reichsger. in Strafsachen v. 22. Sept. 1885. Entscheidungen
Bd. 22 S. 384.
3) Es steht aber jedem Mitgliede frei, den Abschluss eines Staatsvertrages in An-
regung zu bringen und zu beantragen, dass der Bundesrat beschliessen möge, den Kaiser
zu ersuchen, die zur Herbeiführung eines Vertragsabschlusses geeigneten Schritte zu
veranlassen.