$ 21 Die Staatsverträge. III. Der Abschluss. 175
durch die Vorschrift des Art. 11 Abs. 3 genötigt, auch wenn dieselbe seine
völkerrechtliche Legitimation zur Vertretung des Reiches unberührt lässt,
bei Staatsverträgen, welche in den Bereich der Gesetzgebung eingreifen, vor
ihrem Abschluss die Zustimmung des Bundesrats.und des Reichstags ein-
zuholen: Der Vorgang ist nicht der, dass erst der Staatsvertrag abgeschlossen
und dann derselbe vom Reichstage genehmigt wird, sondern der regelmässige
und übliche Weg ist der, dass der Bundesrat und der Reichstag zuerst ihre
Zustimmung zur Ausführung des Vertrages erteilen, und dass darauf erst
der Kaiser den Vertrag abschliesst.
Aus der Vorschrift des Abs. 3 cit. ergibt sich, wenn man sie in der ange-
gebenen Weise auslegt, die verfassungsmässigeRechtspflicht
des Kaisers, von der ihm anvertrauten Vertretungsbefugnis in den von dem
Abs. 3 betroffenen Fällen nur Gebrauch zu machen, nachdem er die Zustim-
mung des Bundesrats und die Genehmigung des Reichstages erlangt hat, es
sei denn, dass er mit Zuversicht auf die nachträgliche Genehmigung rechnen
kann und ein Aufschub des definitiven Vertragsabschlusses mit Nachteilen
verknüpft wäre !). Beispiele für dieses ausnahmsweise Verfahren bilden der
zwischen Deutschland und Oesterreich-Ungarn abgeschlossene Handels-
vertrag vom 16. Dezember 1878, welchem der Reichstag am 5. Febr. 1879
die Genehmigung erteilt hat (RGBl. 1879 S. 11), und der Handelsvertrag mit
Spanien vom 12. Juli 1883 (RGBl. S. 303) und vom 30. Dez. 1893 (RGBil.
1894 S. 109).
Der praktische Unterschied zwischen der hier angenommenen Auslegung
und der Theorie, welche die völkerrechtliche Gültigkeit des Vertrages von
der Zustimmung des Bundesrats und Reichstages abhängig macht, besteht
nicht darin, dass bei der letzteren Ansicht Bundesrat und Reichstag grös-
sere Rechte und grössern politischen Einfluss haben, sondern lediglich darin,
dass die Frage, ob Bundesrat und Reichstag dem Staatsvertrage verfassungs-
mässig zugestimmt haben, bei unserer Ansicht eine res interna des Reiches
bleibt und der Prüfung des fremden Staates entzogen ist, während die ent-
gegengesetzte Ansicht konsequent dahin führt, dass die auswärtige Regie-
rung sich darüber ein Urteil bilden muss, welche staatsrechtlichen Befugnisse
der Kaiser gegenüber dem Bundesrat und Reichstag hat. |
c) Ob nun in der Tat die Reichsverfassung bei denjenigen Staatsverträ-
gen, zu deren Vollziehung die Mitwirkung von Bundesrat und Reichstag
erforderlich ist, nicht bloss diese Befugnisse sicherstellen, sondern die Voll-
macht des Kaisers nach aussen beschränken und die völkerrechtliche Gültig-
keit von der Zustimmung des Bundesrats und Reichstages abhängig machen
wollte, ist bei der Unklarheit des Ausdrucks mit Bestimmtheit nicht zu ent-
scheiden. Für die Ansicht, den Abs. 3 des Art. Il nur auf das innere staats-
rechtliche Verhältnis zu beziehen, lässt sich geltend machen, dass in dem-
1) Damit erledigen sich die von den Vertretern der entgegengesetzten Ansicht
erhobenen Bedenken über die Möglichkeit einer Kollision zwischen völkerrechtlicher
Verbindlichkeit und staatsrechtlicher Vollziehbarkeit. Vgl. auch G. Meyera a. O.
S. 380. Staatsr. $ 189. Ryck S. 86. Heilborn, System 8. 160. Schwarz,
Preuss. Verfassungsurkunde S. 139.