Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band I. Deutsches Reichsstaatsrecht. (1)

176 Fünfter Abschnitt: Die Funktionen des Reiches. $ 21 
  
selben Artikel im Abs. 2 die Zustimmung des Bundesrats zur Erklärung des 
Krieges für gewisse Fälle erfordert wird, während nach Abs. 1 dem auswärti- 
gen Feinde gegenüber der Kaiser in allen Fällen ‚im Namen des Reichs 
Krieg zu erklären hat‘. Auch hier legt Abs. 2 dem Kaiser eine staatsrecht- 
liche Pflicht auf, beschränkt aber nicht seine völkerrechtliche Legitimation. 
Sodann tritt weder der Bundesrat noch der Reichstag nach aussen handelnd 
‚auf; die auswärtigen Mächte führen ihren gesamten Verkehr mit dem Reich 
ausschliesslich mit dem Kaiser und seinen Ministern. Auch ist die Frage, 
welche Gegenstände im Reich in der Form der Gesetzgebung zu behandeln 
sind (in den Bereich der Reichsgesetzgebung gehören), eine schwierige, die 
nur bei genauester Kenntnis der gesamten Reichsgesetzgebung zu beant- 
worten ist, und mit jedem neuen Gesetz kann sich die Abgrenzung dieser 
Gegenstände verschieben. Demnach würde die Vertretungsbefugnis des Kai- 
sers einen schwankenden und stets wechselnden Umfang haben, und den aus- 
wärtigen Regierungen würde man zumuten, bei jedem Vertrage erst darüber 
Untersuchungen anzustellen, ob sein Inhalt unter die Bestimmung von Art. 11 
Abs. 3 fällt. Die unbeschränkte Legitimation des Kaisers entspricht auch der 
staatsrechtlichen Stellung desselben. Da die Reichsverf. ihm die Verwendung 
der Armee und Kriegsmarine, die Entscheidung über Krieg und Frieden, die 
Leitung der gesamten auswärtigen Politik überträgt und anvertraut, so muss 
er such zur Vertretung des Reichs im internationalen Verkehr ermächtigt 
sein und sein feierlich gegebenes Wort das Reich verpflichten. Aus den Ma- 
terialien der Reichsverf. ist für das Zustimmungsrecht des Bundesrats nichts, 
für das Genehmigungsrecht des Reichstages aber zu entnehmen !), dass mit 
dem Abs. 3 „im wesentlichen nichts anderes gemeint ist als das, was auch in 
der preussischen Verfassung bestimmt ist“; für das preuss. 
Recht war aber damals (1867) die Ansicht noch unbestritten, dass es in Ueber- 
einstimmung mit dem englischen und belgischen Recht den völker- 
rechtlich gültigen Abschluss eines Staatsvertrages von der Genehmi- 
gung des Landtages nicht abhängig macht 2); auch wurde eine ‚nachträg- 
liche Vorlegung‘“ der Verträge für genügend erklärt. Die hier entwickelte 
Ansicht wird auch dadurch unterstützt, dass es sonst in der RV. an jeder 
Vorschrift über die Inkraftsetzung der Staatsverträge fehlen und die Rege- 
lung dieser Materie lückenhaft sein würde; in der RV. sollte sie aber voll- 
ständig erfolgen, indem Abs. 1 den völkerrechtlichen Abschluss, Abs. 3 
(ursprünglich 2) die innerstaatliche Regelung betrifft. Endlich ist auch in 
Betracht zu ziehen, dass in den vom Kaiser ausgefertigten Ratifikations- 
Urkunden die Bezugnahme auf die Zustimmung des Bundesrats und Reichs- 
tags unterbleibt. Hiernach rechtfertigt sich die Auslegung, dass die nach 
Art. 11 Abs. 1 begründete Legitimation des Kaisers zum Abschluss von Staats- 
verträgen durch Art. 11 Abs. 3 nicht beschränkt wird ®). Zahlreiche Schrift- 
1) Stenogr. Berichte des verfassungsber. Reichstages von 1867 S. 518. Vgl. mein 
Staatsr. des D. Reichs II S. 134 fg. 
2) Die entgegengesetzte Ansicht wurde erst in dem Werke von Ernst Meier, 
Ueber den Abschluss von Staatsverträgen, Leipzig 1874, aufgestellt. 
3) Für diese Ansicht haben sich erklärt Gneist a.a. 0.8. 358 v. Gerber,
	        
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