188 Sechster Abschnitt: Das Reichsland und die Schutzgebiete. $ 22
Landesangelegenheiten obliegenden Befugnisse übergehen und welchem
der Kaiser landesherrliche Befugnisse zur Ausübung übertragen kann.
Gleichzeitig wurde der Landesausschuss hinsichtlich seiner Zusammensetzung
weiter ausgebaut und mit grösseren Befugnissen ausgestattet und die Bildung
eines Staatsrats zur Begutachtung von Gesetzen und Verordnungen vorge-
schrieben. Der Statthalter ist an die Stelle des Reichskanzlers ge-
treten nicht als verantwortlicher Stellvertreter im Sinne des Ges. v. 17. März
1878, sondern als sein Nachfolger; er ist der Reichskanzler für Elsass-Loth-
ringen; der Statthalter und der Reichskanzler können sich nicht gegenseitig
vertreten. Es bedeutet dies eine Loslösung der Reichslandsverwaltung von
der Reichsverwaltung; das Reichsland hat im Statthalter seinen eigenen
Minister, der dem Reichskanzler nicht untergeordnet ist und dessen Stellung
durch die Uebertragung landesherrlicher Befugnisse noch besonders ausge-
zeichnet ist. Nur sind Reichskanzler und Statthalter beide dem Kaiser unter-
geordnet; beide sind kaiserliche Minister.
2. Auch durch die Errichtung des Ministeriums in Strassburg
wurde die Landesverwaltung der Verwaltung eines Bundesstaates mehr als
bisher genähert. Im staatsrechtlichen Sinne blieb zwar das Ministerium
eine Reichsbehörde; aber die Kosten wurden im Haushaltsetat des Reichs-
lands festgesetzt und aus Mitteln des Landes bestritten. In diesem
Sinne wurde daher das Ministerium eine Landes behörde und in einen
Gegensatz zu den anderen obersten Reichsbehörden gebracht. Ebenso wurde
der Unterschied zwischen den Reichsbeamten und den Reichslandsbeamten
vertieft, indem die ersteren ihren obersten Chef im Reichskanzler, die letzteren
im Statthalter haben.
3. Der Landesausschuss erhielt alle Rechte in vollem Umfange
und mit voller Wirksamkeit, welche im konstitutionellen Staate der Volks-
vertretung zuzustehen pflegen; er befand sich in dieser Hinsicht im vollen
Gegensatz zu Provinziallandtagen und Kommunalvertretungen. Seine Mit-
glieder genossen die reichsgesetzlich gewährleistete Immunität.
4. Trotz diesen Zugeständnissen blieb Elsass-Lothringen aber Reichsland.
Entscheidend dafür ist der Mangel einer von der Reichsgewalt verschiedenen,
selbständigen Staatsgewalt. Der Kaiser übt die Staatsgewalt ‚im
Namen des Reichs‘ und auf Grund reichsgesetzlicher Delegation, nicht als
Landeshorr, sondern als Organ des Reichs aus!). Abgesehen von diesem
Kardinalpunkt macht sich die Reichslandseigenschaft nur noch geltend in
der fortdauernden Mitwirkung des Bundesrats an der Landesgesetzgebung,
an der subsidiären Zuständigkeit des Reichstages, von der tatsächlich niemals
Gebrauch gemacht worden ist, und an dem Mangel von Stimmen imBundesrat?).
1) Vgl. die Motive des Gesetzes. Drucks. des Reichtags 1879 VI S. 1532. Der
Vertreter des Reichskanzleranits erklärte in der Sitzung des Reichstages; „Die Souvc-
ränität, welche nach den Friedensvertrage und nach dem Vereinigungsgesetz beim
Reich beruht, wird denselben erhalten; die Staatsgewalt, welche der Kaiser im Namen
des Reichs auszuüben hat, sie verbleibt ihm; sie wird weder in dem Titel, aus welcheın
ne ahgelekel et, verändert, noch in ihrem Umfange erweitert oder vermindert‘. Stenogr.
3er. IL. S 1617.
2) Der Statthalter war nach $7 des Gesetzes ermächtigt, zur Veitretung der Vor-