Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band I. Deutsches Reichsstaatsrecht. (1)

  
$ 23 Die Verfassung des Reichslandes. 
n 191 
  
werden. Ausserdem hat der Bundesrat ein Vorschlagsrecht hinsichtlich der 
vom Kaiser zu ernennenden Mitglieder der ersten Kammer (Ges. $ 6) und 
er hat über Meinungsverschiedenheiten zwischen der Reichs- und Landes- 
verwaltung in Eisenbahnangelegenheiten die Entscheidung zu treffen ($ 24 
Abs. 2). 
3. Der Kaiserliche Statthalter!) hat nach dem RG. v. 
4. Juli 1879 teils landesherrliche teils ministerielle Befugnisse. Die Ueber- 
tragung der ersteren ist fakultativ; die letzteren haften am Amt und 
bilden den dauernden Inhalt desselben; der Umfang der ersteren hängt 
von dem Willen des Kaisers ab, der der letzteren steht durch Rechtssätze 
fest. Die ministeriellen Befugnisse sind daher die wesentlichen, die landes- 
herrlichen accessorische ; der Statthalter ist nicht Vizekaiser, sondern Minister. 
Er ist an die Stelle des Reichskanzlers getreten;eristderReichskanzler 
für E.-L.; er ist dem Reichskanzler nicht untergeordnet und kein Stellver- 
treter desselben im Sinne des Gesetzes vom 17. März 1878, sondern er steht 
gleichberechtigt neben ihm. Der Statthalter wird vom Kaiser ernannt und 
abberufen; er gehört zu denjenigen Beamten, welche jederzeit ihre Entlassung 
erhalten und fordern können; hinsichtlich des Wartegeldes und der Pension 
‚finden auf ihn die für den Reichskanzler geltenden gesetzlichen Vorschriften 
und Etatsbestimmungen Anwendung. Ernennung, Abberufung und Ueber- 
tragung landesgesetzlicher Befugnisse bedürfen der Gegenzeichnung des 
Reichskanzlers. 
Insoweit der Statthalter kaiserliche Befugnisse ausübt, handelt er wie 
ein Regent frei von konstitutioneller Verantwortlichkeit; seine Erlasse sind 
daher vom Staatssekretär zu kontrasignieren, welcher dadurch die Ver- 
antwortlichkeit übernimmt. In allen anderen Beziehungen handelt der Statt- 
halter mit derselben Verantwortlichkeit wie der Reichskanzler; insbesondere 
gegenzeichnet er die kaiserl. Anordnungen in elsass-lothr. Landesangelegen- 
heiten (Ges. v. 4. Juli 1879 $ 2). Zu seiner Vertretung befugt ist der Staats- 
sekretär mit den Rechten und mit der Verantwortlichkeit, wie ein dem 
Reichskanzler nach Massgabe des Gesetzes vom 17. März 1878 substituierter 
Stellvertreter sie hat (eod. $ 4 Abs. 1). Die parlamentarische Verantwort- 
lichkeit besteht seit dem Ges. v. 31. Mai 1911 dem Landtage gegenüber, 
da der Reichstag jede Zuständigkeit in elsass-lothring. Landesangelegen- 
heiten verloren hat. Die dem Statthalter durch $ 2 des Ges. v. 4. Juli 1879 
(in Verbindung mit $ 10 Abs. 1 des Gesetzes vom 30. Dezemb. 1871) über- 
tragenen ausserordentlichen Gewalten (sogen. Diktaturparagraph) sind durch 
das Reichsges. v. 18. Juni 1902 (RGBl. S. 231) aufgehoben worden. 
4. Das Ministerium, welches in Strassburg seinen Sitz hat, ist 
dem Statthalter untergeordnet. An der Spitze dieser Behörde steht der 
Staatssekretär, welcher den Statthalter in Ausübung seiner mini- 
steriellen Befugnisse vertritt und dabei die Befugnisse und Verant- 
wortlichkeit wie ein verantwortlicher Stellvertreter des Reichskanzlers nach 
DT Schulze, Die staatsrechtl. Stellung des Statthalters von Els.-Lothr. 
(Tübinger Doktordissert.) 1905. Rudolph, Der Statthalter in Els.-Lothr. 1905. 
Bruck IS. 126 ff.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.