$ 25 Die deutschen Schutzgebiete. 201
Reich Hoheitsrechte eingeräumt worden, teils ganz allgemein teils unter
Hervorhebung einzelner Anwendungen, insbesondere der Gerichtsbarkeit;
und in den drei Schutzbriefen, welche die Kolonialgesellschaften erhalten
haben, ist ihnen die Ausübung der ‚„Landeshoheit‘“, ‚landeshoheitlicher Be-
fugnisse‘‘, „der Herrschaft‘‘ übertragen worden unter der ‚„Oberhoheit“
des Reichs. Das Reich übt auch tatsächlich in allen Schutzgebieten eine
staatliche Herrschaft in den Formen der Gesetzgebung, Verwaltung und
Rechtspflege aus und erstreckt dieselbe materiell auf die Rechtsordnung,
Wohlfahrtpflege und die Landesverteidigung.
3. Die Schutzgewalt des Reichs ist eine souveräne Staatsgewalt;
denn sie ist keiner andern Staatsgewalt untergeordnet. Ihr Wesen hat aber
im Laufe der Zeit sich verändert, sich fortentwickelt. Ursprünglich war sie
keine alle staatlichen Aufgaben umfassende Staats-
gewalt. Für das Reich handelte es sich vorzüglich um den Schutz der eigenen
Angehörigen und der Angehörigen anderer zivilisierter Nationen, um die
Förderung ihres Handels oder sonstigen Gewerbebetriebes, um die Aufrecht-
haltung ihrer Verbindung mit Deutschland, um die Gewährung der Möglichkeit,
dass sie die aus der Zivilisation hervorgehenden sozialen Bedürfnisse, soweit
es die Umstände zulassen, befriedigen — und zugleich um die Ausschliessung
der Herrschaft anderer Mächte von den Schutzgebieten. Für die
staatlichen Angelegenheiten der eingeborenen Bevölkerung zu sorgen, war
dagegen weder ein Bedürfnis des Reichs, noch ist es dazu befähigt, da es
auf die Kulturstufe und Anschauungsweise dieser Völker nicht hinunter zu
steigen vermag. Wenngleich daher die allmähliche Zivilisation der Ein-
geborenen und eine gewisse Fürsorge für ihr physisches und moralisches
Wohl seit der ersten Erwerbung von Schutzgebieten eine Aufgabe der Ko-
lonialpolitik war, und gewisse staatliche Einwirkungen auf die Eingeborenen
unerlässlich waren, um die nächstliegenden Interessen der in den Schutz-
gebieten sich aufhaltenden Reichsangehörigen zu fördern, so war doch die
Regierung der Eingeborenen und die Handhabung der unter ihnen herge-
brachten Herrschaftsrechte nicht der Zweck des Schutzverhältnisses und die
Aufgabe des Schutzstaates. Die Schutzgewalt wurde als Oberhoheit
bezeichnet, wodurch das Vorhandensein einer untergeordneten Hoheit
angedeutet wurde. Die Erklärungen des Fürsten Bismarck in der Sitzung
des Reichstags vom 26. Juni 1884 liessen über diese Tendenz der Kolonial-
politik keinen Zweifel, und ihr entsprach die Regelung der Verhältnisse in
den zuerst erworbenen Schutzgebieten '). Sie musste auch für die staats-
rechtliche Auffassung der Schutzgewalt massgebend sein, wenn sie dem
damals geltenden Recht entsprechen sollte. Nach kurzer Zeit änderten
sich aber diese Tendenz der Kolonialpolitik und die rechtliche Gestaltung
der Schutzgewalt, welche sich immer mehr einer vollen Staatsgewalt näherte.
Dies war teils durch die Bedürfnisse und Interessen der einheimischen Be-
völkerungen selbst geboten, namentlich hinsichtlich ihrer Erwerbs- und Be-
sitzverhältnisse, Besteuerung, Gerichtsschutz usw., teils entsprach es den
1) Vgl. Köbner in der Enzyklopädie S. 1080.