Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band I. Deutsches Reichsstaatsrecht. (1)

2310 Sechster Abschnitt: Das Reichsland und die Schutzgebiete. $ 25 
  
  
  
  
1. Die Gerichtsbehörden für Weisse, ihre Verfassung 
und Zuständigkeit bestimmen sich nach dem Gesetz über die Konsular- 
gerichtsbarkeit v. 7. April 1900 und nach den für jedes Schutzgebiet auf 
Grund des Schutzgebietsgesetzes erlassenen kaiserlichen Verordnungen. 
Die Militärgerichtsbarkeit ist durch diese Vorschriften unberührt geblieben. 
Die Gerichte sind in zwei Instanzen gegliedert. An Stelle des Konsuls fun- 
giert als Richter der vom Reichskanzler zur Ausübung der Gerichtsbarkeit 
ermächtigte Beamte; wenn die Angelegenheit zur Zuständigkeit der Schöffen- 
gerichte, Landgerichte oder Schwurgerichte gehört, treten dem Richter 
Beisitzer zur Seite. Als Berufungs- und Beschwerdegericht ist in jedem Schutz- 
gebiete am Sitze des Gouverneurs ein Gericht zweiter Instanz errichtet worden, 
welches aus dem Oberrichter als Vorsitzenden und vier Beisitzern besteht. 
Die Errichtung eines für alle Schutzgebiete gemeinsamen obersten Kolonial- 
gerichtsho fs, welcher in dritter Instanz entscheiden soll, ist in Aussicht 
genommen (1912). Ferner ist für jedes Schutzgebiet eine Staatsanwalt- 
schaft errichtet worden. (V. v. 13. Dez. 1897. RGBl. 1898 S. 1.) 
Insoweit ein Verwaltungsstreitverfahren stattfindet, wird 
die Entscheidung in erster und letzter Instanz vom Bundesrat getroffen. 
2. Die Gerichte für Farbige sind in den einzelnen Schutz- 
gebieten durch Verordnungen der Gouverneure geregelt worden. Durch 
die kaiserl. V. v. 3. Juni 1908 (RGBl. S. 397) ist das Reichskolonialamt er- 
mächtigt worden, Anordnungen zu treffen über das Eingeborenenrecht und 
die Gerichtsbarkeit über Eingeborene, auch soweit Nichteingeborene betei- 
ligt sind; die bisher ergangenen Anordnungen sind aber zunächst in Geltung 
erhalten worden. Für Ostafrika, Kamerun und Togo hat der Reichskanzler 
über die Ausübung der Strafgerichtsbarkeit und der Disziplinargewalt gegen- 
über den Eingeborenen eine Verf. v. 22. April 1896 erlassen (Kolonialbl. S. 241), 
welche namentlich die zuständigen Strafen und deren Vollstreckung betrifft. 
Im Schutzgebiet von Kamerun werden bürgerliche Streitigkeiten über 
Gegenstände bis 100 M. und kleinere Strafsachen von den eingeborenen 
Häuptlingen, grössere Sachen und Berufungen von Eingeborenengerichten, 
welche als Schiedsgerichte bezeichnet werden, erledigt. In Togo haben die 
Häuptlinge eine Gerichtsbarkeit bei Streitigkeiten unter Eingeborenen; 
jedoch üben die Bezirksamtmänner die Strafgerichtsbarkeit aus und der Gou- 
verneur bildet in allen Sachen die höchste Instanz. Es gilt im allgemeinen 
ebenfalls die V. vom 22. April 1896. InSüdwestafrika stand die Ge- 
richtsbarkeit in allen Streitsachen unter Eingeborenen bisher den Häuptlingen 
infolge der Schutzverträge ausschliesslich zu; durch den Aufstand haben sie 
diese obrigkeitlichen Rechte verwirkt; Richter erster Instanz sind die Bezirks- 
amtmänner und Distriktschefs, in zweiter Instanz entscheidet der Oberrichter; 
die Zuziehung von Eingeborenen kann stattfinden. Ueber Klagen von Weissen 
gegen Eingeborene erkennen die Verwaltungsbehörden unter Zuziehung von 
Eingeborenen. In Ostafrika wird die bürgerl. Gerichtsbarkeit erster 
Instanz durch den Bezirksamtmann ‘unter Mitwirkung eines eingeborenen 
Richters, des Wali, ausgeübt; auch können farbige Beisitzer zugezogen
	        
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