Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band I. Deutsches Reichsstaatsrecht. (1)

14 Erster Abschnitt: Die Entstehungsgeschichte des Deutschen Reiches. s$1 
  
  
  
  
V. Das neugegründete Reich unterzog sich alsbald der Aufgabe, seine 
Verfassung ordnungsmässig zu redigieren. Die Publikation der Verträge ent- 
hielt zwei von einander sehr abweichende Redaktionen, die eine, wie sie im 
Badisch-Hessischen, die andere, wie sie im Bayerischen Vertrage vereinbart 
war, und überdies die im Württembergischen Vertrage stipulierten Verän- 
derungen und Vorbehalte. Die Ausdrucksweise liess die Konsequenz ver- 
missen, indem die Bezeichnungen Kaiser und Reich zunächst nur an zwei 
Stellen vorläufig Aufnahme gefunden hatten. Es kam hinzu, dass der Reichs- 
tag formell nur einen Vertrag über die Abänderung der Norddeutschen Ver- 
fassung genehmigt hatte, die Abänderung selbst aber nicht direkt, sondern 
nur in dieser Vertragsgenehmigung ausgesprochen war. Dem ersten Reichs- 
tage wurde deshalb der Entwurf einer Reichsverfassung vorgelegt, um diesen 
formellen Mängeln abzuhelfen; er wurde von dem Reichstage genehmigt und am 
16. April 1871 als Reichsgesetz verkündigt, welches am 4. Mai 1871 in Kraft trat. 
Das RG. vom 16. April.enthält zwei von einander getrennte Bestandteile, die 
Verfassungsurkunde und das Publikationsgesetz. Die Verfassungsurkunde 
schliesst sich an die im Bayerischen Vertrage vereinbarte Fassung an, enthält 
aber ausser den erforderlichen redaktionellen Aenderungen auch eine materielle 
Abänderung, welche die Zusammensetzung des Ausschusses des Bundesrats 
für die auswärtigen Angelegenheiten betrifft. Das Inkrafttreten dieser Ver- 
fassungs-Redaktion ist nicht mehr als Vertrags-Erfüllung anzusehen und 
beruht nicht auf den vertragsmässigen Vereinbarungen, sondern es beruht auf 
der gesetzgebenden Gewalt des Reiches, wie dieselbe 
durch die Verfassung vom 1. Januar 1871 begründet worden war. Das Publi- 
kationsgesetz hat die gewöhnliche Eingangsformel der Reichsgesetze. Nach- 
trägliche Abänderungen des Wortlautes der Reichsverfassung sind erfolgt 
durch die Reichsgesetze vom 24. Februar (Art. 28 Abs. 2); 3. März (Art. 4 
Ziff. 9); 20. Dezember (Art. 4 Ziff. 13) 18731); 11. Februar (Art. 59 Abs. 1) 
und 19. März 1888 (Art. 24) ?2); 26. Mai 1893 (Art. 53 Abs. 5) ?); 14. Mai 1904 
(Art. 70) *); vom 15. April 1905 (Art. 59 Abs. 1) 5); vom 21. Mai 1906 (Art. 
32) °); vom 3. Juni 1906 $ 5 (Art. 38 Abs. 2 Ziff. 3d) ’); vom 31. Mai 1911 °) 
(Einfügung des Art. 6a betr. Els.-Lothr.); vom 24. Dez. 1911 °) (Art. 54). Die 
materiellen Veränderungen der Verfassung durch die Reichsgesetzgebung ohne 
Modifikation des Wortlautes sind erheblicher und zahlreicher '°). Unter 
  
deutschen Staaten mit dem Norddeutschen Bunde wegen des Art. IV des Prager Friedens 
hatte, wurde auf diplomatischen Wege gewahrt und erledigt, indem der Kanzler des 
Nordd. Bundes der österr. Regierung am 14. Dezember 1870 formelle Anzeige machte 
und darauf Oesterreich durch eine Note vom 26. Dezember 1870 der Errichtung des 
Deutschen Reiches ausdrücklich zustimmte und das Reich formell anerkannte. 
1) RGBI. 1873. S. 45. 47. 379.—2) RGBl. 1888. S. 11. S. 110. — 3) RGBil. 1893. S. 185. 
4) RGBl. 1904. S. 169. — 5) RGBl. 1905. S. 249. — 6) RGBi. 1906. S. 467. 
7) RGBl. 1906. S. 621. - 
8) RGBl.1911 S. 225. 9) RGBil. 1811 S. 1137. 
10) Vgl. Laband, Die Wandlungen der Deutschen Reichsverfassung. Dresden 
1595 und ausführlicher im Jahrbuch des öffentlichen Rechts Bd. I S. 1£f. (1907). Die 
allgemeine Tendenz dieser Entwicklung war eine unitarische, indem sie teils auf eine 
Erweiterung der Zuständigkeit des Reichs teils auf die Ausgleichung der Verschieden- 
heiten in der Rechtsordnung der Einzelstaaten gerichtet war, vgl. Triepel, Unitaris- 
mus und Föderalisinus im Deutschen Reiche. Tübingen 1907. Die Abhandlung von
	        
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