$ 26 Die auswärtigen Angelegenheiten. I. Gesandtschaften.
zu
Reiches völlig konkurrierend; d. h. die Einzelstaaten sind nicht nur befugt,
an den Höfen, an welchen keine Reichsgesandtschaften bestehen, Landes-
gesandtschaften zu halten, sondern sie können auch neben der Reichs-
gesandtschaft eine Landesgesandtschaft errichten !). Nur für Preussen ist es
wegen der Personen-Identität des Kaisers und Königs nicht möglich, neben
dem Reichsgesandten einen Landesgesandten zu beglaubigen ?).
Die Reichsgesandtschaften haben nicht nur die Rechte und Interessen
der Gesamtheit, sondern auch diejenigen der Einzelstaaten und aller ihrer
Angehörigen zu vertreten und wahrzunehmen. RV. Art. 3 Abs. 6. Wenn
aber an demselben Hofe eine Reichsgesandtschaft und eine Landesgesandt-
schaft bestehen, so tritt zwischen beiden eine Teilung der Geschäfte ein.
Die Vertretung der Sonderinteressen des Einzelstaates, seines Souveränes
und seiner Angehörigen ist zunächst Sache der Landesgesandtschaft, und
dem Reichsgesandten entzogen ?). Demgemäss kann dem Gesandten eines
Bundesgliedes zugleich von einem anderen Bundesgliede die Vertretung auch _
seiner besonderen Landesinteressen übertragen werden, ohne dass dem Reiche
ein Einspruchsrecht dagegen zusteht. Zu den besonderen Angelegenheiten
gehören die Beziehungen des Landesherrn und seiner Familie zu den Mit-
gliedern des auswärtigen souveränen Hauses; ferner die Interessen des Ein-
zelstaates für alle seiner Kompetenz unterliegenden Gegenstände, insbe-
sondere die Förderung von Kunst und Wissenschaft; sodann Auslieferungs-
Anträge *); endlich die Privatangelegenheiten der Angehörigen des Einzel-
staates, z. B. die Ausfertigung, Beglaubigung usw. von Attesten. Dem Reichs-
gesandten liegt die Wahrnehmung derjenigen Interessen ob, welche das Reich
als Ganzes angehen, und die Vertretung der Sonderinteressen derjenigen
Bundesglieder und ihrer Angehörigen, für deren Vertretung durch eine
Landesgesandtschaft nicht Sorge getragen ist.
Alle Angelegenheiten, welche durch die RV. oder durch besondere Ge-
setze zu gemeinschaftlichen des Reiches erklärt sind, gehören deshalb a u s-
schliesslich zu dem Geschäftskreise der Reichsgesandten. Dahin
sind zu zählen: alle Angelegenheiten der auswärtigen Politik, die internatio-
nalen Handels- und Schiffahrts-Angelegenheiten, die Angelegenheiten des
Post- und Telegraphen-Wesens 5), die internationalen Militär- und Marine-
Angelegenheiten, Niederlassungs-Verhältnisse, Freizügigkeit zwischen dem
Gebiete des Reichs und dem des auswärtigen Staates, Gewerbebetrieb der
Deutschen im Auslande oder der Ausländer in Deutschland, Unterstützung
und Uebernahme hilfsbedürftiger Angehöriger, Auswanderungssachen, inter-
nicht nur gegen auswärtige Staaten, sondern auch untereinander Gebrauch machen.
Auch die nicht preussischen Bevollmächtigten zum Bundesrat haben den Charakter
diplomat. Geschäftsträger, argum. Art. 10 der RV. Siehe oben 8. 64.
1) Otto Esch, Das Gesandtschaftsrecht der deutschen Einzelstaaten. Bonn
1911.
2) Preussische Gesandtschaften bestehen nur an den deutschen Fürsten-
höfen, bei den Senaten der freien Städte (Hanıburg) und ausserdem beim Papst.
3) Es ist dies in dem bayerischen Schlussprotok. Art. VIII anerkannt.
4) Protok. des Bundesrates 1876 $ 146.
5) Abgesehen von dem Sonderrechte Bayerns und Württembergs gemäss RV.
Art. 52 Abs. 3.