232 Siebenter Abschnitt: Die einzelnen Zweige der Verwaltung. $ 27
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4. Die Selbständigkeit der Verwaltungen Bayerns und Württembergs
hat die Folge, dass der Verkehr zwischen diesen Gebieten untereinander
sowie zwischen diesen Gebieten und dem übrigen Reichsgebiet und die recht-
lichen Beziehungen unter diesen Verwaltungen nicht staatsrechtlich, sondern
vertragsmässig geregelt sind, wobei selbstverständlich die in den
Postgesetzen des Deutschen Reiches aufgestellten Regeln die rechtlichen
Grenzlinien für die Vertragsfreiheit der Verwaltungen abgeben. Die Grund-
lage für diese Vereinbarungen bilden noch gegenwärtig der zwischen dem
Nordd. Bunde und den süddeutschen Staaten abgeschlossenePostvertrag
vom 23. Nov. 1867), welcher durch die Uebereinkunft vom 9. Nov. 1872
abgeändert und ergänzt worden ist, und der Telegraphenvereins-
vertrag vom 25. Okt. 1868, welcher vom 1. Januar 1872 an eine erhebliche
Veränderung, insbesondere hinsichtlich der Tarifsätze, erfuhr. Demge-
mäss wird unterschieden der innere Verkehr, wofern die Postsendung
oder das Telegramm nur das Gebiet einer der 3 Verwaltungen berührt;
der Wechselverkehr, wenn der Transport der Postsendung oder
die Beförderung der Depesche innerhalb des Reichsgebietes ausgeführt wird,
aber das Gebiet von mindestens zwei Verwaltungen berührt ?); endlich der
Durchgangsverkehr umfasst die Postsendungen, welche zwischen
den Gebieten des Wechselverkehrs und fremden Staaten oder im Verkehr
fremder Staaten unter sich vorkommen, insofern die Sendungen mindestens
zwei Gebiete des Wechselverkehrs berühren ?).
I. Post und Telegraphie als öffentliche Anstal-
ten. Der staatliche Betrieb der Post und Telegraphie enthält an und für
sich keine Betätigung eines Hoheitsrechts. Es gibt Staaten, in welchen ge-
wisse Zweige der Geschäftstätigkeit, die in Deutschland die Post betreibt,
von der öffentlichen Post ganz ausgeschlossen sind. Begrifflich könnte der Staat
auch die Beförderung von Briefen und Zeitungen der Privatindustrie über-
lassen, ohne dass er dadurch ein staatliches Hoheitsrecht aufopferte. Das-
selbe gilt von der Telegraphie. Damit soll nicht gesagt werden, dass der
Staat durch den Betrieb der Post und Telegraphie den aus seinem Begriff
sich ergebenden Kreis von Aufgaben überschreitet. Der Staat hat die Pflege
der Wohlfahrt des Volkes zur wesentlichen Aufgabe; wenn es demnach zur
Erreichung dieser Aufgabe geboten erscheint, Anstalten für den Verkehr
von Staats wegen zu errichten, so handelt der Staat durch Erfüllung dieses
Gebotes innerhalb seiner begriffsmässigen Zwecke. Der Staat hält die Post-
und Telegraphen-Anstalten nicht ausschliesslich im fiskalischen Finanz-
Interesse; er betreibt in denselben nicht ein Gewerbe imgewöhnlichen
Sinne, d. h. eine ausschliesslich oder vorzugsweise auf Vermögenserwerb
gerichtete Tätigkeit; es sind vielmehr zugleich öffentliche Interessen, welche
er dabei verfolgt; er befriedigt ein unabweisbares Bedürfnis, sowohl des
1) BGBl. 1568 S. Al ff.
2) Jedoch werden auch die Oesterreichisch-Ungarische Monarchie nebst Liechten-
stein als Gebiete des Wechselverkehrs angesehen.
3) Durch Errichtung des sogen. Weltpostvereins ist der Unterschied zwischen
dem Durchgangsverkehr und dem Wechselverkehr ausserordentlich verinindert worden.