Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band I. Deutsches Reichsstaatsrecht. (1)

2338 Siebenter Abschnitt: Die einzelnen Zweige der Verwaltung. $ 27 
  
  
der Post bestellt habe, sind die Postbeamten für nicht befugt zu erachten. 
Verpflichtet zur Bewahrung des Geheimnisses sind alle im Dienste der 
Post und Telegraphie angestellten Beamten mit Einschluss der Postagenten. 
Dagegen kann niemand, der bei dem Betriebe der Postanstalt nicht amtlich 
beschäftigt ist, das Briefgeheimnis im Sinne des Postgesetzes verletzen. Ins- 
besondere hat die Anordnung des $ 299 des Strafgesetzbuchs, dass derjenige 
bestraft wird, welcher einen verschlossenen Brief oder eine andere verschlos- 
sene Urkunde, die nicht zu seiner Kenntnisnahme bestimmt ist, vorsätzlich 
und unbefugterweise eröffnet, gar keinen Zusammenhang mit dem für die 
Post bestehenden Recht. Ebensowenig besteht für andere Behörden des 
Staates oder Reichs eine Pflicht zur Wahrung des Briefgeheimnisses; dasselbe 
kann daher von ihnen auch niemals verletzt werden. Wohl aber besteht 
der Satz des öffentlichen Rechts, dass die Postverwaltung von keiner an- 
deren Behörde, weder einer richterlichen noch einer Verwaltungsbehörde, 
zur Verletzung des Briefgeheimnisses gezwungen werden darf, abgesehen 
von den reichsgesetzlich anerkannten Ausnahmefällen. Solche Ausnahmen 
sind einzig und allein im Interesse der Rechtspflege zulässig und in der Straf- 
proz.Ordn. $ 99 ff. und in der Konk.Ordn. $ 121 geregelt. Der Verletzung 
des Briefgeheimnisses steht in allen Beziehungen völlig gleich die absicht- 
liche rechtswidrige Vernichtung, Unterdrückung oder Vorenthaltung einer 
der Post anvertrauten Sendung oder Depesche. Die Rechtsfolgen einer wider- 
rechtlichen Verletzung des Briefgeheimnisses können bestehen teils in Dis- 
ziplinarbestrafung, teils in der Pflicht zum Schadensersatz, teils in Kriminal- 
bestrafung nach Massgabe der $$ 354. 355 (in der Fassung des RG. v. 19. 
Juni 1912 Ziff. 8. RGBl. S. 397) des Strafgesetzbuchs. 
II. Die Vorrechte der Post- und Telegraphen-ÄAn- 
stalt. Um den Geschäftsbetrieb der Post- und Telegraphen-Anstalt zu 
ermöglichen, zu erleichtern und zu sichern, sind ihr folgende Vorrechte ein- 
geräumt worden: 
l. Der Postzwang ist eine Beschränkung der allgemeinen Hand- 
lungs- und Gewerbefreiheit zugunsten der Postanstalt !). Dem Postzwange 
sindnur unterworfen verschlossene Briefe?)und Zeitungen 
politischen Inhalts, welche öfter als einmal wöchentlich erscheinen. Das 
Monopol der Post erstreckt sich nur so weit, als die Postverwaltung selbst 
den Umfang ihres Geschäftsbetriebes ausdehnt, d. h. es ist die Beförderung 
von Briefen und Zeitungen nur untersagt von Orten mit einer Postan:talt 
nach anderen Orten mit einer Postanstalt des In- oder Auslandes. Wo die 
Po;tverwaltung eine Postanstalt nicht errichtet, verzichtet sie auf die Aus- 
übung des Monopols und gibt dadurch Briefbeförderung und Zeitungsdebit 
frei. Unter Postanstalt ist jede Posteinrichtung zu verstehen, welche min- 
destens Briefe sammelt und verteilt; blosse Briefsammelkästen sind als 
Postanstelten nicht zu erachten. Durch das Ges. v. 20. Dez. 1899 Art. 2 
ı ) So auch Reichsgericht, Entsch. in Zivils. Bd. 70 S. 396. Ueber den Postzwang 
in den deutschen Schutzgebieten vgl. Staedlerim Arch. f. öffentl. R. Bd. 28 S, 283 fg. 
2) T’eber den Begriff des Briefes vgl. Köhler in Hirths Annalen 1911 S. 5090, 
678, 772.
	        
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