18 Zweiter Abschnitt: Das rechtliche Verhältnis d. Reiches zu den Gliedstaaten. $2
mn
lichkeiten, einerseits Staatenverbände vertragsmässiger Natur und anderer-
seits Einheitsstaaten mit mehr oder weniger durchgeführter Dezentrali-
sation !). Die Entscheidung dieser Frage hängt nun lediglich davon ab, ob
zum Wesen des Staatsbegriffes die Souveränetätgehört. Es ist unbestrit-
ten, dass es eine oberste und höchste Gewalt geben muss, die keiner anderen
irdischen Gewalt unterworfen ist, die in Wahrheit die potestas suprema ist.
Das Kriterium der obersten, höchsten Gewalt besteht darin, dass sie nur
sich selbst bestimmt und von keiner andeın Gewalt rechtlich verpflich-
tende Vorschriften empfangen kann. Hieraus ergibt sich aber mit logischer
Notwendigkeit, dass die Souveränetät unbeschränkbar und folglich auch un-
teilbar ist. Wenn man von einer geteilten, beschränkten, ‚halben‘ Souveräne-
tät spricht, so verbindet man entweder mit dem Ausdruck Souveränetät irgend
einen andern Sinn oder man widerspricht sich selbst. Versteht man also
unter einem Staate ein Gemeinwesen mit souveräner Gewalt, so kann es eine
Unterordnung eines Staates unter eine höhere Macht (Oberstaat, Staaten-
staat) nicht geben. Da nun in der politischen und staatsrechtlichen Literatur
der Einheitsstaat als die einfachste und regelmässige Form gewöhnlich den
Erörterungen über den Staat zugrunde gelegt und kurzweg mit dem Staate
überhaupt identifiziert wird, so ist es erklärlich, dass man regelmässig den
unabhängigen, isolierten, also souveränen Staat in das Auge fasst, um den
logischen Begriff des Staates zu abstrahieren und mithin die Souveränetät
als ein wesentliches Moment dieses Begriffes hinstellt. Mag nun diese Auf-
fassung auch bei der aprioristischen Betrachtung des ‚Staates an sich“
gerechtfertigt sein, so entspricht sie doch keineswegs dem durch einen all-
gemeinen Sprachgebrauch aller gebildeten Nationen zum Ausdruck gebrachten
Begriff des Staates, wie er durch Induktion aus den historischen Erscheinungs-
formen gewonnen wird. Die landesherrlichen Territorialgewalten des ehe-
maligen Deutschen Reiches, die Glieder der nordamerikanischen Union, die
der Oberhoheit der Türkei unterworfenen oder unterworfen gewesenen Ge-
meinwesen u. a. hat man stets unbedenklich als Staaten bezeichnet, trotzdem
sie der Souveränetät nicht teilhaftig waren, beziehungsweise es nicht sind 2).
Der Sprachgebrauch allein kann allerdings nicht massgebend sein; für die
wissenschaftliche Behandlung ist es erforderlich, die begrifflichen
Merkmale festzustellen. Es ist die Frage zu beantworten, welches Kri-
terium für den Staat übrig bleibe, wenn man die Souveränetät für nicht
wesentlich erklärt, und durch welches durchgreifende Merkmal sich der
„nicht souveräne Staat‘ von Provinzen, Kreisen, Gemeinden und dgl. unter-
scheide. Dieses Merkmal ist darin zu finden, dass die Staaten eine öffentlich-
rechtliche Herrschaft kraft eigenen Rechts haben, nicht durch Ueber-
tragung, nicbt als Organe, deren sich eine höhere Macht zur Erfüllung ihrer
1) Dies ist konsequent durchgeführt worden von Seydel. Vgl.dessen Abhand-
lung in der Zeitschr. f. d. ges. Staatswissensch. 1872 S. 185 ff. und seinen Kommentar
zur Reichsverf. Für das Reichsstaatsrecht ergibt sich hieraus die logische Nötigung,
entweder dem Reich oder den Gliedern desselben den Charakter als Staaten abzu-
sprechen, da beide zugleich ihn nicht haben können.
2) Vgl. Jellinek, Staatenverbindungen 8. 30.