Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band I. Deutsches Reichsstaatsrecht. (1)

254 Siebenter Abschnitt: Die einzelnen Zweige der Verwaltung. $ 27 
  
des Bundesrates, sondern auf der Vereinbarung der Eisenbahnverwaltungen 
und auf den Rechtsbefugnissen, welche den einzelnen Bundesregierungen 
auf Grund der Landesgesetze oder Konzessionen den Eisenbahn-Unter- 
nehmern gegenüber zustehen }). 
Eine Vereinbarung der deutschen Bundesregierungen über ein einheit- 
liches Tarifsystem für die Personenbeförderung ist ebenfalls zustande ge- 
kommen; jedoch nicht in der Form eines Bundesratsbeschlusses 2). 
3. Die Eisenbahnverwaltungen mit Ausschluss Bayerns 
sind verpflichtet, bei eintretenden Notständen, insbesondere 
bei ungewöhnlicher Teuerung der Lebensmittel, für den Transport, namentlich 
von Getreide, Mehl, Hülsenfrüchten und Kartoffeln, zeitweise einen 
dem Bedürfnis entsprechenden niedrigen Spezialtarif einzuführen. Dieser 
Spezialtarif wird von dem Kaiser auf Vorschlag des Bundesratsausschusses 
für Eisenbahnen, Post und Telegraphen festgestellt, darf jedoch nicht unter 
den niedrigsten auf der betreffenden Bahn für Rohprodukte geltenden Satz 
herabgehen. RV. Art. 46 Abs. 1. 
V. Im Gegensatz zu der unbestimmten und staatsrechtlich wenig be- 
langreichen Kompetenz des Reiches hinsichtlich des Betriebs und des Tarif- 
wesens sind dem Reiche im Art. 47 der RV. höchst eingreifende und inhalts- 
volle Befugnisse, und zwarauch für Bayern, eingeräumt worden. 
„Den Anforderungen der Behörden des Reiches in betreff der Benutzung 
der Eisenbahnen zum Zweck der Verteidigung Deutschlands haben sämt- 
liche Eisenbahnverwaltungen unweigerlich Folge zu leisten. Insbesondere 
ist das Militär und alles Kriegsmaterial zu gleichen ermässigten Sätzen zu 
befördern.“ Diesc Vorschrift gilt nicht nur für den Fall des Krieges oder 
der Kriegsvorbereitungen, sondern sie findet auch im Frieden Anwendung, 
da s’e nur eine Benutzung der Eisenbahnen zum Zweck der Verteidigung 
Deutschlands voraussetzt, diesem Zwecke aber das Kriegsheer und die Ma- 
rine auch im Frieden dienen. Durch diese Vorschri?t sind sämtliche Eisen- 
bahnen Deutschlands zur vollen und uneingeschränkten Disposition für 
Militärzwecke gestellt, und zwar steht den Eisenbahnverwaltungen gegen die 
Verfügungen der Reichsbehörden keinerlei Beschwerderecht mit aufschie- 
bender Wirkung zu; sie müssen vielmehr „unweigerlich“ Folge leisten. Die 
nähere Feststellung der den Eisenbahnverwaltungen nach Art. 47 der RV. 
obliegenden Leistungen ist erfolgt durch die Reichsgesetze über die Militär- 
lasten. Siehe darüber unten $ 43. 
VI. Zur Ausübung der in den Art. 41—47 der RV. dem Reiche zuge- 
schriebenen Befugnisse ist durch das Ges. v. 27. Juni 1873 (RGB. S. 164) 
das Reichs-Eisenbahn-Amt in Berlin errichtet worden, welches 
seine Geschäfte unter Verantwortlichkeit und nach den Anweisungen des 
Reichskanzlers führt. Ausserdem können im Falle des Bedürfnisses Reichs- 
eisenbahn-Konmmissare bestellt werden, welche vom Reichseisenbahnamte 
1) Vgl. Eger 118. 219 ff. 
2) Ueber die sogen. ‚Tarifhoheit‘ siehe Hubrich im Arch. £f. öff. R. Bd. 20 
S. 96 ff. u. über die gegenwärtigen geltenden Tarifgrundsätze Eger in Hirths An- 
nalen 19uU1 S. 241g.
	        
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